»Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch mehr Hubraum«. Es wird Zeit, derlei Weisheiten endgültig in die Tonne zu treten. Mit einer gestrippten Royal Enfield Bullet 500 fällt uns das leichter als gedacht …

Es gibt wenige Dinge, die Bestand haben. Alles ist im Fluss, verändert sich, ständig was Neues lernen und was Altes vergessen. Wir brauchen einen Facebook-Zugang, die dreihundertzwölfte App, und unsere Kinder wollen ständig neue Klamotten, weil die alten doch so uncool sind … und bitte noch eine neue Playstation dazu! Was wäre es doch schön, wenn die Zeit nur manchmal ein ganz kleines bisschen stehenbleiben würde?

Die wohltuende Ruhe beim Schrauben …

Die gute Nachricht: Mit einem Motorrad ist das kein Problem. Die wohltuende Ruhe beim Schrauben, traditionelles Handwerk beim Umbauen, das Bier mit den Freunden, die alte Schule als Maßstab in der ach so modernen, schnellen Welt.

Originalteile erhalten, aber modifizieren spart Umbaukosten: So konnte zum Beispiel die alte Enfield-Lampe wieder verwendet werden, die auch dem Cockpit Platz bietet

Wir dürfen mittendrin sein, und am Ende entdecken wir sogar die Langsamkeit neu. Auf einem Motorrad, das in Serie seit 75 Jahren nahezu unverändert per Handarbeit gefertigt wird. Das Einzige, was wir tun müssen, ist Platz nehmen: Auf dieser verdammt smarten Royal Enfield Bullet.

Royal Enfield Bullet 500 – König der Landstraße

Wer sich sowas zulegt, hat natürlich eine Vorgeschichte. Jürgen war schon einige Male zum Motorradfahren in Indien, der Heimat der royalen Einzylinder. Und er ist dort immer auf Enfield-Leihmaschinen unterwegs gewesen. »Mit den 25 PS warst du dort der König der Landstraße, ein Wahnsinnsgefühl«, beschreibt er.

Beim Bau des Tanks orientierte sich Benni an den beliebten Peanut-Spritgefäßen, der eigens gedengelte Lenker trägt eher Race-Anleihen

Und deshalb reifte die Entscheidung, auch hierzulande mit einer Inderin anzubandeln, zumal Jürgen auch motorseitig schwer angefixt war, »der ist einfach wunderschön, nostalgisch, technisch.« Lediglich das schwülstig überladene, verbastelte und blecherne Anmuten des Serienkrades passte dem Bayern gar nicht.

Royal Enfield Bullet 500 – Wunderbar reduzierte Fahrmaschine

Es musste umgebaut werden. Einen kongenialen Partner für das Vorhaben fand Jürgen in Benni Adler. Der Customizer, der in seiner Firma Mean Machines seit Jahren wunderbar reduzierte Fahrmaschinen baut und jedem Basisbike offen gegenüber steht, zögerte nicht, den Auftrag anzunehmen.

Der offene Trichter fügt sich harmonisch ins ruhige, traditionelle, nostalgische Gesamtbild des Umbaus ein. Und der ist mit 120 km/h V-Max und sattem Sound nicht annähernd die graue Maus, die man vermuten würde

Entgegen den Standardumbauten der Enfield, die meist als Scrambler oder Cafe Racer daherkommen, entschieden sich die beiden hier für einen schmalen Bobberumbau, der im Endeffekt versprach, deutlich günstiger als beispielsweise ein Racer zu werden.

Royal Enfield Bullet 500 – Rechtsschaltung und keinen E-Starter

Wichtig war Jürgen dazu ein frühes Baujahr der Basis, da die Enfield unbedingt die originale Rechtsschaltung und keinen E-Starter in den Papieren stehen haben sollte. Zudem kam das Original aus Deutschland und wurde nicht aus Indien importiert. Das wäre zwar noch günstiger, kann aber abgastechnische Probleme bei der Zulassung bringen.

Die Farbgebung ist very indisch: Verwaschenes Grün und schmutzges Gelb sind die Farben der Nationalflagge Indiens. Die Startnummerntafel deutet aufs Baujahr des Besitzers hin

Bis auf diese Vorgaben ließ Jürgen dem Benni freie Hand beim Umbau. Und der legte los, immer seinem Motto folgend »Build to go not for show!«. Zunächst wurde die Maschine komplett entfettet. Allein durch den Abbau aller nicht unbedingt notwendigen Teile und Halterungen sparte Benni 20 Kilo Gewicht ein.

Bei wenig Leistung tut jedes Kilo weniger Gewicht gut

Bei den Leistungsdaten des Motors, der übrigens ziemlich original blieb, eine echte Ansage. Den Einschleifen-Rahmen streckte der Customizer leicht und versetzte die Schwinge nach hinten, die schwülstigen Fender ersetzte er durch ein Minimalschutzblech im Heck, vorne braucht es eh nichts.

»Eine Enfield ist eine echte Alternative zu einer Triumph – und deutlich günstiger umzubauen«

Vom Original-Auspuff übernahm Benni zwar den Krümmer, änderte aber dessen Führung und setzte einen eigenen Endtopf auf. Das getapte Rohr kommt nun knackig in die Höhe gereckt daher. Das unsagbar ausladende Rücklicht ersetzte er durch eine selbstgefertigte Blinker-Lampenkombi, die Doppelsitzbank durch einen eigens gefertigten Solosattel.

Die Trommelbremsen sind bei der Leistung schon okay

Der tiefliegende Lenker neigt sich nach unten, die eigenwillige Enfield-Lampe blieb erhalten. Bei Rädern und Bremsen folgte der Weitramsdorfer dem Original: »Die Trommelbremsen sind bei der Leistung schon okay«. Als Finish gab es für den schmalen Bobber eine Lackierung in Gelb und Grün, die Farben der indischen Flagge.

Mit 160 Kilo ist der Umbau ein Leichtgewicht, das gleicht fehlenden Hubraum und mangelnde Leistung aus. Der Auspuff überzeugt mit gutem Sound

»Und die Startnummer 58 auf der seitlichen Tafel signalisiert nicht das Baujahr des Bikes, sondern das des Besitzers«, schmunzelt Benni. Damit war die Arbeit erledigt, aber wie macht sich der Minimal-Bobber im Alltag. Weiß man nur, wenn man es probiert, also ab dafür.

Royal Enfield Bullet 500 – Zündung einschalten und beherzt ankicken

Das Losfahren will gelernt sein. Benzinhahn auf, Choke ziehen, Zündung einschalten und beherzt ankicken. Erster Pluspunkt, denn Kicken ist einfach was Echtes. Als Belohnung fürs Treten revanchiert sich der langhubige Einzylinder mit blubberndem Sound. Zweiter Pluspunkt, kernig und so, wie Motorräder klingen sollen.

Kein perfektes Motorrad, aber eines mit Charakter: Wer sich auf die Enfield einlässt, wird mit ruhigem, ausgeglichenem Fahrrhythmus belohnt. Eine perfekte und unverkrampfte Sitzposition steigert den Genuss zusätzlich

Und dann los, der Schalthebel liegt rechts, ersten Gang nach oben, die anderen drei nach unten schalten, gebremst wird mit dem linken Fuß, Abfahrt. Den dritten Pluspunkt gibt es deshalb für Nostalgiker, das ist nämlich alles wie früher. Wer es sich jetzt noch verkneift, nervös am Schalthebel herumzufummeln oder an der Drehzahl zu orgeln, macht alles richtig.

Im Vierten verrichtet der Motor mit seinen typischen Vibrationen die Arbeit

Weit unterhalb der 100-km/h-Marke legen wir den vierten Gang ein und der Eintopf verrichtet mit seinen typischen Vibrationen unaufgeregt die Arbeit. Und wir können das tun, was den Genuss am Motorradfahren doch eigentlich ausmacht: Die Landschaft genießen, das frischgemähte Gras riechen, uns den Wind um die Ohren sausen lassen, einfach voran treiben und abschalten.

Reicht: Die originalen Enfield-Uhren

Schnell sind wir in einer anderen Zeit, einer die im sonoren Klack-Klack des Getriebes von echten Männern und Verbrennungsmotoren erzählt – Burnout-Therapie zum Schnäppchenpreis quasi. Und selbst das Bremsen wird zum sakralen Akt, mahnt uns doch die antike Trommel jede Kurve bewusst zu nehmen. 

Mit passenden Umbaumaßnahmen wird die Bullet zum Hingucker

Wer diese Ruhe und Leichtigkeit ohne Hetze und Stressfaktoren zu schätzen weiß, für den kann eine Royal Enfield zum Traummotorrad werden. Mit den passenden Umbaumaßnahmen sogar zum Hingucker. Mit Sicherheit nicht perfekt, aber dafür mit Charakter. Und den können auch der größte Hubraum und der fetteste Reifen nunmal nicht ersetzen.

Info |  mean-machines.de

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.