Auf nach Bonneville! Pete Pearson will mit der Rocket Bobs Triumph nach dem 250-ccm-Geschwindigkeits-Weltrekord greifen. Mit einem Einzylinder von 1935, der britische Motorsport-Geschichte ist.

Einmal in Bonneville auf Rekordjagd gehen, das ist noch immer mit vielen Hindernissen befrachtet: Sei es der Transport in die USA oder die Unsicherheit der Wetterverhältnisse auf den Salt Flats, wo die Rekordjagd sich auf einen überraschend kleinen Platz und ein limitiertes Zeitfenster beschränkt. Um einen Rekord zu fahren oder zu brechen, müssen viele Faktoren zusammenkommen. Der Wichtigste: Das passende Bike! 

Der Motor kann auf eine über 70-jährige Geschichte in der britischen Rennszene zurückblicken

Zumindest in dieser Hinsicht ist »Rocket Bobs«-Mann Pete Pearson ziemlich perfekt vorbereitet: Schon sein Motor kann auf eine über 70-jährige Geschichte in der britischen Rennszene zurückblicken. Dass Pete selbst mehr als 30 Jahre im Customgeschäft auf dem Buckel hat, sei dabei nur zur Ergänzung gesagt: Seine Custombikes sind schon in zahlreichen Magazinen erschienen und haben viele Preise gewonnen.

Eine Gabel als Kunstwerk: In Parallelogramm-Form entwickelt dienen die unteren Hebel der Gabelführung. Die obere Aufhängung greift in U-Form um den Lenkkopf, in dem das Federbein platziert ist. Regenreifen sollen den nötigen Grip auf dem Salz bringen, eine Vorderbremse ist unnötig

Alles erreicht ist damit noch nicht, »ich wollte nämlich schon immer mal nach Bonneville fahren und auf dem Salzsee mitmischen – da kam dieser Motor als ein Geschenk des Himmels«, erklärt der Customizer. Es wird sein erstes Projekt auf Triumph-Basis, denn, so Pete: »Einzylindermotoren sind schwer zu customizen – man muss sich wirklich anstrengen, um etwas Richtiges daraus zu bauen.« Eigentlich war die Triumph L2/1 bei ihrer Vorstellung ein »Brot und Butter«-Motorrad, das es den britischen Arbeitern ermöglichen sollte, preiswert und zuverlässig zur Arbeit zu kommen.

Formschöner Einzylinder mit 249 ccm und stoßstangenbetätigten Ventilen

Entwickelt von Val Page und von 1934 bis 1936 gebaut, wurde das Modell später zur Tiger 70 weiterentwickelt, doch der formschöne Einzylinder mit 249 ccm und stoßstangenbetätigten Ventilen ist und bleibt ein Klassiker. 

Kaum vorstellbar, wie Pete Pearson langgestreckt und geduckt über das Salz rasen wird – ohne Verkleidung und doppelten Boden. Der Triumph-Einzylinder-Motor wurde dafür komplett modifiziert und mit Turbolader und Kompressor bestückt

Weil Rennerfolge schon damals als verkaufsfördernd zählten, wurden 1936 zwei Rennmotoren für die Saison 1937 gebaut – der in der »Speed Wevil« ist einer davon. Pete wird in der Klasse »bis 250 ccm, luftgekühlt, Vintage, aufgeladen, ohne Verkleidung« starten. Dort liegt der Rekord momentan bei eher bescheidenen 61.894 Meilen/h, also 99,6 km/h. Ein Wert, den man auch mit einer normalen Einzylinder-Straßenmaschine schlagen kann. 

Rocket Bobs Triumph – Mit Turbo und Kompressor

Pete reicht das nicht, er versieht seine Rocket Bobs Triumph mit Turbo und Kompressor. Der dafür betriebene Aufwand ist alledings gigantisch: Neben der Komplettüberholung des Motors zählt dazu vor allem die technische Konstruktion der Gemischversorgung. Während der Turbolader von einem Snowmobil-Motor modifiziert wurde – praktischerweise für minimale Ansprechreaktion direkt am Auslass montiert – hat der Kompressor eine »Geschichte«.

Spartanischer Minisitz – für Bonneville braucht’s allerdings auch keinen gehobenen Langstreckenkomfort

Er stammt nämlich vom Rolls-Royce-Merlin-Motor einer »Spitfire« des Jahres 1942, die noch im gleichen Kriegsjahr auf dem afrikanischen Kriegschauplatz abgeschossen wurden! Wer sich an dieser Stelle wundert, wie der mehrstufige Lader eines Kampfflugzeugmotors mit 1.650 Cubic Inch (!) an ein 250-ccm-Motorrad passt, dem sei gesagt: Es ist nicht der Hauptlader der Benzinversorgung des Merlin, sondern einer von zwei Nebenkompressoren, die zur Auferhaltung des Drucks in den Bordsystemen gebraucht wurden.

Rocket Bobs Triumph – Eigenbaufahrwerk aus T-45-Stahl

Aus den zwei demolierten Ladern des V-12-Motors wurde ein funktionsfähiges Exemplar gebaut, das jetzt die Rocket Bobs Triumph anheizt. Die ausgefeilte Technik des Rennmotors sitzt in einem eigens dafür entwickelten Fahrwerk aus T-45-Stahl. Auch dieses Material wurde einst für die Spitfire verwendet. Der filigrane Rahmen dient dabei nur einem Zweck: Den Motor auf Rekordgeschwindigkeit zu bringen.

Weiter hinten kann eine Fußrastenanlage nicht verbaut werden. So kann sich der Fahrer schön lang und windschlüpfrig ans Moped schmiegen

Während viele Bonneville-Schrauber auf Starrrahmen und Gewicht schwören, um ihrem Gefährt dadurch Bodenhaftung und Traktion zu verleihen, kennt Pete Pearson die eigentliche Bedeutung der Federung: Den Gummi auf der Oberfläche zu halten. Dass der Rahmen dabei noch verflucht gut aussieht und durch fehlenden Anstrich die exzellenten Schweißnähte sicht- und kontrollierbar macht, ist großes Kino. 

Gabel mit parallelogrammähnlichen Konstruktion

Vorderradgabel und Schwinge sind zwei weitere Schwerpunkte der Entwicklung. Die Gabel führt das Vorderrad in einer parallelogrammähnlichen Konstruktion, wobei die unteren Hebel der Gabelführung dienen, die obere Aufhängung in U-Form um den Lenkkopf herumgreift und sich hinter den Dreh- und Lagerpunkten mit zwei einstellbaren Stangen rechts und links am Federbein abstützt. Das wiederum ist zentral innerhalb des Lenkkopfs montiert.

Pete wird in der Klasse »bis 250 ccm, luftgekühlt, Vintage, aufgeladen, ohne Verkleidung« starten. Dort liegt der Rekord momentan bei eher bescheidenen 61.894 Meilen/h, also 99,6 km/h

Die große Hebelübersetzung definiert den Federweg zusätzlich, doch das System hat auch einen Nachteil: Weil sich die gesamte Konstruktion um die Federbein-/Lenkkopf-Achse drehen muss, ist der Lenkeinschlag auf ein Miniumum beschränkt. Zum Glück muss man auf den Salt Flats fast nur geradeaus fahren und zum Wenden ist genug Platz.  

Japanisches Speedway-Getriebe von 1965

Auch die Hinterradschwinge ist ein mechanisches Kunstwerk, das sich erst auf den zweiten Blick erschließt: Die Kraftübertragung vom Motor zur Trockenkupplung erfolgt über eine normale Primärkette, von dort über ein japanisches Speedway-Getriebe von 1965 zurück an das Sekundärritzel auf der linken Motorseite. 

Rahmengeometrie und Einzelteile sind genau berechnet, um die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen

Statt die Kraft per Kette direkt an das Hinterrad zu leiten, baute Pete eine aufwendige Kontruktion: Vom Ausgangsritzel läuft eine weitere kurze Kette zu einer in der Schwinge verankerten Zwischenwelle, deren Abstand so berechnet ist, dass diese »zweite« Primärkette durch die Schwingenbewegung bei Federung nur gering belastet wird. Auf der rechten Seite leitet das Gegenritzel die finale Kette zum Hinterrad, geführt durch eine justierbare Spannvorrichtung.

Exzellente Integration der Systemkomponenten

Die Fußrasten für die liegende Fahrposition sind am Ende der Schwinge angebracht. Dazu rechts die Fußkupplung und links eine Scheibenbremse – auf dem Salz kann man ohnehin nur wenig Bremskraft auf den Untergrund übertragen. Die Integration der Systemkomponenten an diesem Motorrad ist exzellent: Pete hat sich schon vorab mit dem Regelbuch der Motorcycle Speed Trials auseinander gesetzt, denn jede Maschine muss natürlich vor der Rekordjagd durch eine strikte technische Abnahme. 

Vom Ausgangsritzel läuft eine kurze Kette zu einer in der Schwinge verankerten Zwischenwelle, deren Abstand so berechnet ist, dass diese »zweite« Primärkette durch die Schwingenbewegung bei Federung nur gering belastet wird. Auf der rechten Seite leitet das Gegenritzel die finale Kette zum Hinterrad, geführt durch eine justierbare Spannvorrichtung

Dass Pete wirklich mit einem Rekord zurückkommt, ist nicht so sicher, wie er denkt. Manchmal dauert sowas Jahre und bis jetzt hat er es auch noch nicht geschafft, in Bonneville aufzuschlagen. Aber besser vorbereitet kann man als Rookie kaum in Bonneville antreten. Willkommen in der Familie!

 

Horst Rösler
Freier Mitarbeiter bei

Diplom-Ingenieur Horst Rösler ist Jahrgang 1960 und unter seinem Nicknamen »Motographer« seit Jahren einer der wahrscheinlich meistveröffentlichten Bildjournalisten in Sachen Custombikes auf Harley-Davidson- und V-Twin-Basis. Als Plastikmodellbauer seit jungen Jahren, schrieb er von 1979 bis 2009 zunächst als freier Mitarbeiter, später dann als Redakteur für Motorräder für die Fachzeitschrift »Modell Fan« und von 1980 bis 1985 für das Motorradmagazin »Visier«. Seit 1992/93 ist er freiberuflich für deutsche und internationale Custombike-, Harley-Davidson- und Motorradmagazine tätig. Horst ist ein Szene-Urgestein und es gibt wohl kaum ein Event auf diesem Planeten, wo er nicht anzutreffen ist. Sei es als Organisator für Bikeshows oder als Fotograf unter anderem für die AMD World Championship von 2004 bis 2010. Als der »Motographer« ist er weltweit auf verschiedenen Harley-Events unterwegs und spezialisiert auf Randthemen oder zunächst kaum beachtete Newcomer der Customszene. Das bestmögliche Bildmaterial bereitzustellen gehört ebenso zu seiner Passion wie die intensive Suche nach Originalquellen, Zeitzeugen und die Zuordnung von Motorrädern in ihren geschichtlichen Hintergrund, wobei er nicht nur auf Custombikes beschränkt ist.