Von der Straße verschwunden und im Bewusstsein einer ganzen Generation verschüttet, warten unzählige Bikes an staubigen und dunklen Orten auf ihre Erweckung. So wie diese Suzuki GS 750, die mehr als zwanzig Jahre, zur Bewegungsunfähigkeit verdammt, in einem Carport verbrachte.

In den vergangenen Jahren hat sich unsere Gesellschaft gewandelt. Die Schnelllebigkeit dominiert unseren Rhythmus und Trends kommen genauso schnell, wie sie wieder verschwinden.

Suzuki GS 750 – Komplett ohne Hightech

In vielen unserer Lebensbereiche hat Hightech Einzug gehalten, regiert eine immer komplexere Elektronik, regeln Sensoren die immer umfangreicher werdenden Datenströme und erzeugen in uns verstärkt den Wunsch nach Entschleunigung und vor allem Einfachheit.

Ein altes Motorrad in Kombination mit modernen Elektronikkomponenten: René wollte nicht auf die Vorzüge des 21. Jahrhunderts verzichten. Auch deshalb wurde der Kabelbaum von Bruder Marco neu konstruiert

Da sich auch die Motorradindustrie nicht dem Wandel entziehen kann und uns regelmäßig mit Motorrädern lockt, die nach einem mehrere hundert Seiten starken Handbuch verlangen, nur um überhaupt die Grundeinstellungen von Motoransprechverhalten, Traktionskontrolle und ABS zu verstehen, begeben wir uns auf die Suche nach den Motorrädern aus der »guten alten Zeit«, jener Zeit, als die Welt vermeintlich einfacher war und nicht alles in unserem Leben bis ins kleinste Detail von Elektronik geregelt wurde.

Suzuki GS 750 – Ein Bike, das keine Angst macht

Es sind jene Bikes, die uns keine Angst machen, die wir noch verstehen, die von uns geführt werden wollen und die so wandelbar sind, dass wir daraus unsere Träume basteln dürfen.

Ungewöhnlich ist die Positionierung der vorderen Blinker an den Deckeln des Nockenwellengehäuses

Renés Bike hat ein trostloses Dasein hinter sich. Einst war die Suzuki GS 750 der Stolz des japanischen Motorradbauers. Mit ihrem kurzhubig ausgelegten Reihenvierzylinder und den beiden oben liegenden Nockenwellen war sie bei ihrem Erscheinen Mitte der siebziger Jahre das Topmodell mit Viertaktmotor.

Suzuki GS 750 – Warten unter der Abdeckplane

Doch das ist lange her. Die wenigen erhaltenen Modelle sind kaum noch auf der Straße zu sehen, meist warten sie unter Abdeckplanen oder an vergessenen Orten darauf, dass junge, interessierte Menschen sie entdecken.

Das Cafe-Racer-Heck stammt von eBay und wurde entsprechend modifiziert und an den geänderten Heckrahmen angepasst. Ärger gab‘s mit der ersten Lackierung, da passte nichts. Erst im zweiten Anlauf wird dann alles gut

Die Suzuki von René hatte das Glück. Mehr als zwanzig Jahre steht sie einsam in einem Carport, sogar angemeldet. Gefahren wird sie jedoch nicht, dient lediglich als Rabattgeber für eine Kraftfahrzeugversicherung. Der Zahn der Zeit nagt an ihr und fahrbar ist sie auch nicht mehr.

Motorrad und einen Haufen Teile für 0 Euro

Für René spielt das keine Rolle, er will der Suzuki zu einem neuen Motorradleben verhelfen. Bezahlen muss er für die Suzuki nichts, der Vater seiner ehemaligen Freundin gibt sie ihm auch so und einen Haufen Teile gleich mit dazu. Und so wechselt die GS 750 E nicht nur den Besitzer, sondern auch ihr tristes Dasein, tauscht es gegen die Hoffnung, irgendwann wieder auf der Straße frei rennen zu dürfen.

Alt bedeutet nicht zwangs­weise »altertümlich«. Deshalb darf sich die GS auch über neue Hebeleien, Armaturen und Griffe freuen. Die Lenkerstummel gehören einfach zum guten Cafe-Racer-Ton

Doch der Start in die neue Existenz ist holperig. Zwei weitere Jahre wird es dauern, bis René zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder das Projekt angeht. Dazwischen liegen unzählige Ideen, die nach einer Entscheidung verlangen. Ihr zukünftiger Treiber hat in seiner bisherigen Motorradkarriere überwiegend Supersportler und Supermotos bewegt.

Suzuki GS 750 – Keine Chance für einen Bobber-Umbau

Alles Bikes, die für Dynamik und Schräglagen stehen. Von Gelassenheit keine Spur. Was also läge näher, die Suzi in einen angesagten Cafe Racer zu transformieren? Doch René hadert, schließlich meint er, dass sie als Bobber eine genauso gute Figur machen könnte. Aber die Rahmengeometrie macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Somit setzt sich am Ende doch noch der Cafe Racer durch. Eine gute Entscheidung.

Das einstige Topmodel unter Suzukis Vierzylindermotoren strahlt in neuem Glanz. Mit gezielten Mitteln wurde hier ein altes Modell aus seiner Haut geschält und neu eingekleidet

Ende des vergangen Jahres zieht sich die motorradbesessene Familie in die Werkstatt zurück und startet das Vater-Söhne-Projekt. Bruder Marco ist gelernter Kfzler, Vater Jürgen ein Perfektionist, der nicht die geringste Schlampigkeit duldet und jeden Kompromiss zugunsten von Zeitersparnis verachtet.

Suzuki GS 750 – Schlank soll sie werden

Von ihm haben die Brüder auch die Leidenschaft fürs Schrauben und die Motorräder. Er übernimmt die Blecharbeiten, nachdem die Suzuki gestrippt und der Rahmen von allen möglichen Ösen, Haltern und sonstigen Geschwüren befreit wurde. Schlank soll sie werden, ohne unnötigen Ballast und Zubehör.

Deshalb schmeißt René auch den Kabelbaum raus und lässt sich von Bruder Marco einen neuen bauen. René möchte trotz aller Liebe zu dem Youngtimer auf moderne Elektronik setzen, die aber nur die wichtigen Aggregate sowie die Beleuchtung- versorgt. Das muss reichen.

Teile suchen, anpassen, wieder ändern, neue Lösungen suchen

Bei eBay wird ein Cafe-Racer-Heck ersteigert, der Rahmen anschließend angepasst. Unterm Strich sind es viele Kleinigkeiten, die die meiste Zeit fressen. Teile suchen, anpassen, wieder ändern, neue Lösungen suchen. Es ist der normale Prozess, dem jeder unterliegt, der schon einmal ein Motorrad mit Zubehörteilen verändert hat.

Einfach dranschrauben klappt in den seltensten Fällen und funktioniert schon mal gar nicht so »easy«, wie es uns eine ganze Motorradzubehörindustrie glauben machen will. Doch die Familie beißt sich durch, verfolgt konsequent das angestrebte Ziel, ersetzt defekte Teile, repariert, restauriert. 

Rumzickende Vergaserbatterie

Noch bevor das Motorrad fertiggestellt ist, erkrankt der Vater schwer und es ist nicht sicher, ob er den Rollout noch erleben wird. Die Brüder trifft das so hart, wie es einen treffen kann. Sie machen aber zusammen weiter, bleiben am Ball und lassen sich auch nicht durch eine rumzickende Vergaserbatterie aus der Bahn werfen.

Egal, was sie probieren, beim Gasgeben geht die Kiste immer wieder aus. Zusammen mit ihrem Vater kommen sie dem Problem dennoch auf die Spur. Sie zerlegen die Vergaser bis auf die letzte Schraube, setzen sie komplett gereinigt wieder zusammen und stellen enttäuscht fest, dass das Problem noch immer besteht.

Der Four ersäuft im Sprit

Es ist der Zufall oder vielleicht die Intuition, die sie zu den Düsen für die Luftzufuhr führt. Diese unscheinbaren Bauteile machen auf den ersten Blick einen intakten Eindruck, beim genaueren Hinsehen jedoch zeigt sich, dass sie abgebrochen sind. Somit bekommt der Motor nicht das richtig angereicherte Gemisch und ertrinkt im Sprit. Nach dem Einbau neuer Düsen macht die Suzuki keine Zicken mehr, schnurrt wie am ersten Tag, als sie die Fabrik in Hamamatsu verlassen hat.

Fast scheint es, als würde der Umbau reibungslos zu Ende gehen, dann aber reißt die Lackierung nicht nur ein Loch ins Budget, sondern verschiebt auch die Vorführung beim TÜV nach hinten. Die Lackarbeiten sind, um es vorsichtig zu sagen, bescheiden ausgeführt und René entschließt sich, alles von einem anderen Lackierer neu machen zu lassen. Eine bittere Pille, die mit sechshundert Euro extra bezahlt werden muss.

Auch der TÜV erteilt abschließend seinen Segen

Aber der Aufwand ist gerechtfertigt, die Suzuki strahlt in reinem Weiß mit braunen Kontrasten und zieht Aufmerksamkeit, wo immer sie auch steht. Auch der TÜV erteilt abschließend seinen Segen und gibt die GS 750 für die Straße frei. 

Ohne die zusätzlichen 600 Euro für die zweite Lackierung wäre die Suzi unter 2.500 Euro geblieben

Das gemeinsame Familien-Projekt findet seinen Abschluss und wird gleichzeitig ein Nachlass für René und Marco, denn im Spätjahr stirbt der Vater. Was bleibt, ist eine lebendige Erinnerung an die Zeit, in der gemeinsam geschraubt, gelacht und geflucht wurde – und ein weißer Cafe Racer, der ein neues Leben begonnen hat und einen unschätzbaren ideellen Wert besitzt.

 

Christian Heim