Während Strömungen im Motorradbau kommen und gehen, folgen manche Customizer unbeirrt ihrem ganz eigenen Stil – unbeeindruckt davon, was gerade angesagt ist und was nicht. Auf kaum jemanden trifft das mehr zu als auf Maxwell Hazan, der dies mit der KTM Supercharged einmal mehr eindrucksvoll beweist.

Manch einer erinnert sich an dieser Stelle vielleicht an die Royal Enfield, die Harley Ironhead oder an die atemberaubende Musket Enfield, die Max rund um einen der fantastisch aufgebauten Motoren von Aniket Vardhan fertigte. Während seine Projekte sich durchaus unterscheiden, nicht zuletzt auf Grund der Vielzahl an unterschiedlichen Motoren die er als Basis verwendet, teilen sie doch immer den gleichen, unverwechselbaren Stil. Ebenfalls allen gemein ist Max Hazans Antipathie gegen jede Art von Farbe. Wenn es nicht durchweg blankes Metall sein darf, dann lässt er sich gelegentlich noch dazu hinreißen dezentes Schwarz zu verwenden. Aber das reine, rohe Metall scheint er auch nach Jahren noch zu bevorzugen, auch wenn seine Werke alles andere als roh sind.

KTM Supercharged – Warum dieser hässliche Eintopf?

KTM-Umbauten sind generell sehr dünn gesät, möglicherweise weil die Motoren nicht unbedingt die schönsten sind. Unter der Maxime »Ready to Race« werden sie mit österreichischer Effizienz, vor allem im Hinblick auf Leistung und Gewicht, optimiert. Ihre Ästhetik ist von jeher eher zweitrangig, da sie in der Großserie ohnehin unter Unmengen von lackiertem Plastik verschwinden. Es gibt vermutlich gleich hunderte Motorradmotoren, die sich im Hinblick auf ihre Optik besser für einen Boardtracker eignen würden. Was die Frage aufwirft, warum Max Hazan ausgerechnet diesen 520er-Einzylinder ausgewählt hat?

Der Blick auf die Bilder zeigt einen KTM-Motor in einem selbst geschweißten Chrom-Molybdän-Rahmen. Das Aggregat wird zudem noch von einem Kompressor aufgeladen. Warum? Anders herum gefragt: Warum nicht?

»Die Idee für dieses Motorrad geht zurück auf den allerersten Umbau, den ich je gemacht habe«, erklärt er. »Der entstand in der Garage meines Vaters aus einem alten Fahrrad.« Schon in seiner Kindheit ruiniert Max jedes Spielzeug, das er bekommt, innerhalb kürzester Zeit, indem er entweder Teile davon abschneidet oder sie kurzerhand in die Mikrowelle steckt, um sie formbar zu machen und zu modifizieren. Damals ahnt noch niemand, dass diese Marotte fortan sein ganzes Leben bestimmen soll.

Schwinn-Beach-Cruiser mit 200-Kubik-Motor

Vor einigen Jahren stürzt Max mit seiner KTM 520. Unfähig zu laufen ist er gezwungen, die folgenden drei Monate auf der Couch zu verbringen, wo in seinem direkten Blickfeld, an der gegenüberliegenden Wand des Apartments, ein Schwinn-Beach-Cruiser lehnt. Tag für Tag zieht die geschwungene Form des Rahmens Max’ Blicke auf sich, scannen seine Augen jeden Zentimeter des Fahrrads. Von Langeweile und leisen Stimmen getrieben, findet er beim Surfen im Internet einen 200-Kubik-Motor, der bald darauf mit dem Schwinn-Rahmen verheiratet wird.

Verchromter Ansaugtrichter, Flachschiebervergaser und Kompressor: Was sich liest wie das Datenblatt eines Sprintrenners wird in den Händen von Max Hazan zu zeitgenössischer Kunst

Er beschließt sofort, ein weiteres Motorrad zu bauen, diesmal mit einem 350er-Motor. Den Fahrradrahmen baut er diesmal selbst, was deutlich einfacher ist, als einen existierenden Rahmen anzupassen. Max erinnert sich: »Ich bin schon beim ersten Test deutlich schneller gefahren als gedacht. 100 km/h auf Fahrradreifen – nicht die beste Idee für jemanden, der gerade erst wieder angefangen hat zu laufen. Ich wollte seitdem immer ein echtes Motorrad in diesem Stil bauen. Eines, das niemals den Anspruch haben sollte, praktisch oder zulassungsfähig zu sein, einfach etwas, was ich nur baue, um des Bauens willen.«

KTM Supercharged – Verlässliches Arbeitstier mit Potential

Außerdem ist gerade die Vorstellung eine Basis zu wählen, die jeder andere als völlig ungeeignet betrachten würde, ein besonderer Ansporn für Max. Sein erster Umbau basiert auf einem GX350-Hondamotor, der üblicherweise in Generatoren und Rasenmähern Verwendung findet. Die KTM war das Motocross-Pendant zu diesem Antrieb. Ein billiges, verlässliches Arbeitstier mit Potential.

Der hölzerne Sitz ist gefedert

Die Umsetzung rückt während der Genesungsphase allerdings in den Hintergrund und wird schließlich unmöglich, als Max in Manhattan und Long Island mit seiner Firma »Hazan Design & Contracting« durchstartet. Für dieses Gewerbe mietet er in Brooklyn eine alte Schreinerei an. Sukzessive werden die Holzbearbeitungsmaschinen verdrängt durch ein WIG-Schweißgerät, eine Drehbank und andere Zerspanungsmaschinen. Max ergreift die Gelegenheit, um ein paar Motorräder zu bauen und zu verkaufen. In erster Linie aus Spaß an der Freude und als Ausgleich für seinen Beruf. Letzten Endes ist es sein Vater – der Gentleman, den man wohl auch dafür verantwortlich machen muss, dass Max so motorradverrückt ist –, der ihn davon überzeugen kann, aus dem Customizing tatsächlich mehr zu machen als nur ein Hobby.

»Ich schaue bei der Ideensuche nicht auf andere Motorräder«

Mit den Erfahrungen aus seinen Fahrradumbauten, bei denen er feststellt, dass es deutlich einfacher und zudem aufregender ist, mit dem Entwurf auf einem weißen Blatt Papier zu starten, fängt er auch bei seinen Motorrädern stets bei null an. »Ich finde nicht, dass meine Arbeit besser ist als die anderer Customizer. Es gibt so viele Talente auf der ganzen Welt, meine Arbeit sieht einfach etwas anders aus. Das liegt daran, dass ich ohne jegliche Vorgabe, ohne Umbaubasis starte. Ich schaue auch bei der Ideensuche nicht auf andere Motorräder. Deshalb ist auch das Ergebnis in der Regel völlig unterschiedlich zu allem, was es sonst so gibt. Ich hatte immer einen Hang zu Singles und Twins.

Das zweite Ritzel überträgt die Bremskräfte über eine Zwischenwelle auf die Antriebskette

Sie haben einfach mehr Sexappeal. Ich habe inzwischen alles Mögliche umgebaut. Harleys, Musket, JAP, BSA, Royal Enfield, BMW, Suzuki, Yamaha, KTM, Ducati und einige andere. Einfach weil ich versuche, immer wieder etwas Neues zu machen. Ich muss jedes Mal herausfinden, wie ich die unterschiedlichen Motoren, teilweise mit Turbo oder Kompressor, in meinen Motorrädern verwenden kann. Das könnte ich natürlich vermeiden, indem ich immer denselben Harley-Motor nutze, aber die Herausforderung ist ein großer Teil meiner Motivation, vor allem, wenn es am Ende dann auch funktioniert.«

KTM Supercharged – Große Eier welcome

Der Blick auf die Bilder zeigt einen KTM-Motor in einem selbst geschweißten Chrom-Molybdän-Rahmen. Das Aggregat wird zudem von einem Kompressor aufgeladen. Warum? Anders herum geragt: Warum nicht? Auf der anderen Seite sieht man Fahrradfelgen von Clincher, besohlt mit Gummi von Firestone. Vorn auf eine selbstgebaute Nabe eingespeicht, hinten laufen die Speichen asymmetrisch nur auf einer Seite bis zur Nabe, die andere Seite ist direkt im Ritzel eingespeicht. Und alles funktioniert. »Wie weit du mit dieser Maschine fahren willst, hängt einzig davon ab, wie groß deine Eier sind.«

»Ich wollte ein Motorrad bauen, das niemals den Anspruch haben sollte, praktisch oder zulassungsfähig zu sein, einfach etwas, Was ich nur baue, um des Bauens willen.«

Dennoch wäre dieses Motorrad wohl immer ein Wunschtraum geblieben, wäre da nicht Bobby Haas, ein gut situierter Anwalt mit Harvard-Abschluss, der sein Geld an der Wallstreet verdient. Er stolpert über eine von Max Hazans Maschinen genau an dem Punkt, an dem Max auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt ist. Nach drei gebauten Motorrädern und nicht einem einzigen Kunden ist er kurz davor, das Customizing an den Nagel zu hängen. Haas beauftragt Max mit dem Aufbau einer Maschine und bewahrt ihn damit » … davor, sich einen richtigen Job suchen zu müssen.«

KTM Supercharged – Am Anfang steht der Motor

Jetzt, im Alter von über 70 Jahren, ist Haas für ihn zu einer Art Schirmherr geworden. Die KTM wird bereits sein fünftes Motorrad aus den Händen des Künstlers werden, der sein Wirken längst von New York nach Los Angeles verlegt hat. Max erzählt: »Die Arbeit mit ihm ist ein wahrer Segen. Er ist der Traumkunde jedes Customizers. Jedes Mal treffen wir uns mit einer Grundidee oder wählen nur einen Motor als Ausgangsbasis und ich präsentiere ihm dann fünf oder sechs Monate später ein komplett fertiges Motorrad. Er gewährt mir in meinem kreativen Schaffen absolute Freiheit, auch wenn wir uns zwischendurch mehrmals treffen und reden.«

Alles funktioniert. »Wie weit du mit dieser Maschine fahren willst, hängt einzig davon ab, wie groß deine Eier sind.«

Es ist vergleichbar mit großen Künstlern der Geschichte, wie Shakespeare, da Vinci, Michelangelo und Mozart, die zu ihrer besten Zeit alle die Gunst wohlhabender Förderer genossen. Eine unzweifelhaft beneidenswerte Situation, in der offenbar jemand mit genügend Geld in der Hinterhand umgebaute Motorräder als eine Form von Kunst anerkennt und fördert – und damit der restlichen Welt ermöglicht, solche Motorräder, wie die von Max Hazan, zu sehen und zu genießen.

Info |  hazanmotorworks.com

 

Thomas Kryschan
Redakteur bei CUSTOMBIKE

Thomas Kryschan, fährt ab seinem vierten Lebensjahr zunächst Zweitakter jeden Hubraums, bevor er für anderthalb Jahrzehnte in die vierzylindrige Streetfighterszene abtaucht. Beseelt vom Umbauvirus, identifiziert er Spender und Baujahr jedes Anbauteils. Erst beim Huber Verlag tauscht er seine Schraubenschlüssel zeitweilig gegen Schreibgerät.