Eigentlich schraubt Roman Vuagnoux vorwiegend an Harleys. Seit er aber die Kawasaki ZRX 1100 vor vielen Jahren das erste Mal sah, ist der französische Customizer voll auf Schwinge.

Manchmal ist es nur eine einzige Komponente eines Motorrads, die uns nicht mehr aus dem Kopf geht. ZRX 1100? Genau! Die wunderbare Schwinge aus Leichtmetall-Rundrohr. Sie stand am Anfang von Vuagnoux’ neuem Japaner-Projekt. Einer seiner Freunde hatte ­lange Jahre eine ZRX besessen, seitdem war dem Franzosen dieses runde Rohr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. In Frankreich kennen viele ­Roman und seine Firma MHC als Harley-Customizer. Das kommt nicht von ungefähr, denn der Bursche ­startete seine Motorradlaufbahn als Mechaniker in ­einem Harley-­Laden.

Bei weitem nicht nur ein Herz für Milwaukee-Eisen

Nach wie vor sind die Milwaukee-Eisen seine große Liebe. Die ­wenigsten aber ­wissen, dass der Mann mit dem Workshop mitten in der Cote d’Azur-Metropole ­Marseille bei weitem nicht nur ein Herz für Milwaukee-Eisen hat. Seit ein paar Jahren erst hat er – ehemaliger ­Barbesitzer und Diskjockey – seinen eigenen Laden und sich in der französischen Szene doch schon einen ­Namen gemacht. Die Ausflüge in artfremde Gefilde allerdings, sie häufen sich neuerdings auf­fällig. BMW-, Honda- und Triumph-Projekte hat er schon ­realisiert. Zuletzt arbeitete Roman an einem ­Dreizylinder-Zweitakter für Wheels and Waves in ­Biarritz.

Eine Küstenstraße nahe Marseille ist Romans bevorzugtes Kurvenrevier. Schon nach ein paar Kilometern kann er hier beurteilen, ob er Mist gebaut hat. Im Falle der Kawa lautet die Antwort: nein

Was schnell wie die Hölle ist, lässt seinen Puls steigen – das Kürzel MHC steht nicht umsonst für ­„Made from Hell Cycles“. Selbst seine Harleys sind immer schon schnell gewesen. »Ich stehe nicht drauf, ­während der Fahrt Sackhaare zu zählen«, fasst er seinen Need for Speed in prosaische Worte und unterstreicht diese Einstellung etwas später auf seiner liebsten Küsten­straße bei Marseille. Sehr intensive Kurvenspielwiese. Da muss man als Fan von klassischen Harleys, als der ich Roman vor ein paar Jahren kennenlernte, schon mal schlucken.

Schöne und enorm praktische Achsexzenter zur Ketten­justage

Diese ZRX-Schwinge also mit ihren nicht nur schönen, sondern auch enorm praktischen Achsexzentern zur Ketten­justage, sie ging Roman nicht mehr aus dem Kopf. Dass an ihr dieser prachtvolle Vierzylinder dranhing, schreckte ihn auch nicht gerade ab. »Mit Harleys schnell zu fahren, ist toll, doch auf Dauer geht bei voller Belastung immer was kaputt. Vor allem an den alten Kisten, wie ich sie liebe«. Als er das japanische Objekt der Begierde auf dem Hof hatte, ging Roman wie üblich vor. Er strippte das Superbike bis auf den Rahmen und begann dann, seine Vision zu entwickeln. Einen Großteil der Serienparts würde er ohnehin nicht mehr brauchen, im Endeffekt wanderten 50 Kilogramm Kawa auf den Schrotthaufen – rein virtuell natürlich, wer würde schon brauchbare Teile wegwerfen?

Die spanende Metallbearbeitung ist eine Tätigkeit, der der Franzose mit Vorliebe nachgeht. Da kommen dann auch mal abge­fahrene Dinger wie dieser „Nagelzieher“ am Vorderrad heraus

Wer Roman kennt, weiß: Er beginnt immer mit dem Tank. Die  klassische Doppelschleife der ZRX inspirierte ihn zu dieser Flunder von Tank, die sich auf die Oberzüge duckt, als müsse sie sich vor hungrigen Seehunden weg­ducken. Roman fügte das Fass aus Alublech selbst und verpasste ihm einen Monzadeckel. In den hin­teren Teil integrierte er eine Benzin­standsanzeige aus einem simplen Schlauch – schließlich hat das Tänkchen keinerlei Reserve auf Lager. Dem Rahmenheck rückte er mit der Flex zu Leibe, schloss es elegant halbrund und pflanzte einen Sitz drauf, der dem Minimalismus des Tanks in nichts nachsteht.

20 Prozent Power-Aufschlag – Kawasaki ZRX 1100 mit 1200er Four

Unterm Heck hängt ein kleines Stückchen Fender, als Rücklicht- wie Nummernschildhalter gleichermaßen. Und dieses ­Arrangement besteht unter den strengen Augen des Gesetzes? Ja, in Frankreich nimmt man die Freiheit noch ernst. Bei der Technik schummelte der gute Roman dann ein bisschen. Wozu mit 1100 ccm fahren, wenn es einen passenden 1200er mit gut 120 unter den Zylinder­deckeln scharrenden Pferdchen gibt, mithin einen Power-Aufschlag von satten 20 Prozent? Der nämlich steckte im ZRX 1100-Nachfolger, der ZRX 1200. Als Argumen­tationshilfe diente Roman der Zustand des Original­motors, der war recht zusammengerockt.

Das flüssigkeitsgedämpfte Öldruck­manometer, hier an der linken Tankseite platziert, findet sich an vielen von Romans Umbauten. Er hat es selbst entworfen und verkauft es Interessenten. Wie man am Tank unschwer erkennen kann, hat er im Laufe der Jahre gelernt, akku­rate Schweißnähte zu ziehen

Und wo er ­gerade beim Fleddern einer 1200er war: Deren stattliches ­Hinterrad setzt die Schwinge der Begierde mit seinem 180er statt des ­ursprünglichen 170er Reifen­formats noch besser in Szene. Metallbearbeitung schreckt, wir haben es am Beispiel des Tanks bereits gesehen, Roman kein bis­schen. Die Ansaug­trichter stammen ebenso aus seinen ­Händen wie Auspuff, Ausgleichsbehälter für Kühlung und Bremse, Ritzel­blende und Lampenschild, um nur ein paar der Self-Made-Parts zu nennen. Auch das auf der linken Tank­seite platzierte ­Öldruckinstrument stammt aus seiner ­Feder, und ist bei ihm käuflich zu erwerben.

Die Kawasaki ZRX 1100 wurde mit schwedischem Gold aufgerüstet

Fahrwerks­seitig wurde die Kawa mit schwedischem Gold aufge­rüstet, Gabelfedern, Federbeine und auch der Lenkungsdämpfer stammen von Öhlins. Und weil Roman das der Farb­tupfer noch nicht genug war, setzte er mit dem gold eloxierten Rizoma-­Lenker und einer roten (!) AFAM-­Kette ­weitere farbliche Akzente. Ein Stunner, diese ­Kawasaki, ohne ­Frage. Von uns aus darf Roman Harley ab und an gern mal links ­liegen lassen und sich weiteren Japan-Youngtimern zuwenden. Uns fallen da durchaus noch ein paar heraus­ragende Einzelteile ein …

 

Eric Parrey