Die Kawasaki W650 von TGS Motorcycles reißt mich durch die Zeit. Als Mofas Schulhof wie Bolzplatz beherrschten, der Fuchsschwanz am Gürtel baumelte und der Cowboystiefel noch Mantalette hieß. Die Kawa schreit Retro und geht auf die Reise durch die Epochen.

Plötzlich waren Harleys out und Customizer schon auf dem Weg zum Amt: Kurz vor der 2010 im Kalender kam der große Bruch in der Customgemeinde und Mopeds im Stile der britischen 1960er waren plötzlich der heiße Scheiß. Auch hartgesottene Harley-Individualisten waren auf einmal Feuer und Flamme für kleine leichte Bikes, Cafe Racer gerufen. Da standen nun die Profi-Schrauber in den Hallen des heiligen V-Twin und die meisten riefen: »Dem Himmel sei’s gedankt! Endlich können wir bauen, was auch fährt.«

Boaah ey, dieser Lenker. Woher kommt der? Er sieht zwar nach Zubehör aus, aber Kawa hat tatsächlich so eine Segelstange bei den ersten Baujahren der W verwendet. Nice!

Ruhig bleiben, so schlimm wars auch nicht. Doch  Tobias von TGS aus dem freistaatlichen Bayern, entstaubt das metrische Werkzeug. Seine früheren Restaurierungen alter Kawasaki Zs zeugten bereits von großem Können, und die noch älteren Umbauten zweitaktender Kawas zu Racern ließen aufhorchen. Seine Liebe zu Grün führt zwangsläufig in Richtung des Neo-Klassikers mit der Königswelle – Kawasaki W650. Tobias Privatmoped steht seit 2008 auf der Liste für einen knackigen Umbau, was fehlt ist wie immer die Zeit. Das alte Lied.

TGS lässt die Glamourlack-Bikes mit breiter Stange hochleben

Stetiger Wandel ist Kern der Heritage-Szene, selbst der Cafe Racer gerät immer mehr ins Hintertreffen, denn es wird gescrambelt was die Mopeds hergeben. Auch bei TGS, der mit seiner Interpretation die Glamourlack-Bikes mit breiter Stange hochleben lässt – möge der Fuchsschwanz ewig im Fahrtwind wehen. Nun gibt es schlechte und gute Mopeds für einen Umbau. Die Kawasaki W650 gehört zu Kategorie 2, sieht sie im Laden doch schon so aus, wo daheim viele ihre Kisten erstmal hinschrauben müssen. Massig offene Technik, kaum Elektro-Schnickschnack, dazu einen simplen Stahlrohrrahmen und Speichenräder ab Werk.

Besonders der frische Atem im Motor tut der W gut. Nicht überstark oder heftig setzt die Leistung ein, bringt fröhlichen Fahrspaß auf die Straße

Schrauberherz was willst du mehr? Dampf und Qualm am Rad. Stimmt. Charme und Stil außen stehen als Widerpart zur völlig fehlenden Eskalationsbereitschaft des Motors: Die W atmet geradezu asthmatisch ein und aus, daher kommt mit Änderungen an Luftfilter, Vergaser und Endtöpfen Spaß in die Geschichte. Übrigens stellt TGS die Endtöpfe selbst her und eine E-Prüfnummer haben die Dämpfer auch. Das reicht in Sachen Leistung, da die grobstolligen Gummis auch nicht ständig an der Haftungsgrenze wimmern sollen.

Customizing darf auch mal einfach sein

Die restlichen Änderungen halten sich ebenfalls in Grenzen, ein Heck mit knappem Röckchen, ein motogadget als Tacho und was das Krad sonst noch braucht, damit der Blaukittel die Plakette auf das seitlich angebrachte Kennzeichen pappt. Der Tank einer kleinen Honda passt mit minimalen Änderungen der Rahmenhalterung ohne Probleme: Customizing darf auch mal einfach sein.

»Die W war kein Kundenauftrag, die habe ich für mich gebaut. Das Design stand schon seit 2008 fest, ich hatte nur keine Zeit es zu verwirklichen«

Deutlich mehr Zeit investiert Tobias in das Fahrwerk: von Haus aus schwammig, unterdämpft, ohne Progression. Im Heck arbeiten nun YSS-Beine aus der Z-Serie, die in Federbasis und Zugstufe einstellbar sind. Die dünne 39-mm-Gabel vorn kriegt ein kleines Feder-Öl-Workout, stemmt sich nun stärker gegen die Straße. Leicht durchgesteckt darf so lecker ums Eck gepfeffert werden. Trotzdem immer wieder verwunderlich, dass Serienfahrwerke so labbrig sind. Es muss ja nicht gleich Öhlins sein, liebe Hersteller, selbst Kayaba-Serien-Parts können vernünftig abgestimmt werden – Suzukis SV 650 ist da ein Paradebeispiel.

Der Beweis: Glitterlack war niemals out und geht auch bei einer Kawasaki W650

Zurück zur W650 und dem fesselnden Paintjob von STM Design. Nach Tobias Vorgaben pinseln die Mannen einen Stilmix auf das Blech, der zwischen H1, CB 750 und moderner Airbrush-Kunst pendelt – und den Beweis erbringt, dass Glitterlack niemals out war. Details sind das Salz in der Customküche und die W650 ist fein abgeschmeckt – Sterneniveau.

Mehr Moped brauchst du nicht zum Fröhlichsein. Schön gemacht

Man mag es dem Customizer mit seinen struppigen Haaren, dem unterirdischen Helm und der Jeanskutte für Halbstarke auf den ersten Blick nicht ansehen, aber im Finish spielt er ganz vorn mit. Was wir von einem Mechanikermeister auch erwarten! So fließt die große Erfahrung aus seinen abgefahrenen Harley-Umbauten in die Kleinigkeiten der W ein. Unter dem Kleid versteckt sich die wirkliche Arbeit. Eine neue Elektrik lässt das Zündschloss unter den Tank wandern und versorgt das Miniscope mit Signalen. Die Miniblinker hinten versteckt er kurz hinter den Augen der Stoßdämpfer und das LED-Rücklicht verschwindet im eingeschweißten Bogen des Bürzels.

Die wahre Klasse der Kawasaki W650 mit ungeahntem Schmiss herausgekitzelt

Wir müssen uns das mal vorstellen: Ein Customizer von der Qualität eines Tobias Guckel, der bekannt wurde durch heftige und perfekte Harley-Umbauten, baut sich privat eine W 650 auf. Ohne tiefgreifende Schnitte in die Materie kitzelt er die wahre Klasse des Retro-Eimers mit ungeahntem Schmiss heraus, er deklassiert den Rest der W-Szene fast schon.  Wo ist der Like-Button, wenn man ihn braucht?

Info | tgs-motorcycles.de

 

Jens Kratschmar