Kawasaki VN 800 – Klassisch statt Classic

Unter den japanischen Cruisern ist die Kawasaki VN 800 eine gern genommene Basis für Umbauten, für einen Bobber erst recht

Die Kawasaki VN 800 ist schon eine Weile vom Markt verschwunden, der Nachfolger Vulcan 900 längst nicht mehr so populär wie der Japancruiser mit der Starrrahmenoptik. Doch auf dem Gebrauchtmarkt sind mehr oder weniger gut erhaltene Exemplare für faires Geld noch immer zu bekommen, und nach wie vor zählt die VN 800 zu den am meisten umgebauten Modellen. Zumindest im Segment der Japancruiser.

Kawasaki VN 800 – Dankbare Umbaubasis

Dirk hat sich ganz bewusst für Kawas Cruiser als Umbaubasis entschieden, denn die Japanerin ist für ihn alles andere als Neuland. Schon einmal hatte er einen in sich stimmigen Umbau samt Springergabel auf die Räder gestellt und seinerzeit auf der CUSTOMBIKE-Show den Preis für das »Best Metric Bike« abgeräumt.

Da sollte der Umbau zu einem Bobber mehr oder weniger Routine werden. Denkste, denn es kommt wieder mal ganz anders als geplant, und das liegt vor allem an der runtergerittenen VN, die Dirk gebraucht ersteht. Angeblich soll sie nur einen Getriebeschaden haben, was den günstigen Preis erklärt. Insofern kein Problem, da Dirk noch ein Getriebe rumliegen hat, das schnell getauscht werden könnte. Doch nachdem die Kawa in seiner Werkstatt steht, offenbart sich das Ausmaß des tatsächlichen Schadens.

 

Der Anblick des Innenlebens: ein Schock

Im Auspuff finden sich Teile des Auslassventils von einem Zylinder. Nun bleibt nichts anderes übrig, als den Motor zu öffnen und den Schaden einzugrenzen. Der Anblick des Innenlebens: ein Schock. Die Pleuel liegen in Brocken verteilt im Kurbelgehäuse. Der Motor ist sprichwörtlich »Kernschrott«. Was allerdings auch den Bremsplatten am recht neuen Hinterreifen erklärt. Anscheinend kam es während der Fahrt zu diesem kapitalen Schaden, der zu einem blockierenden Hinterrad führte. 

Das wird nun zu einem Problem für den Verkäufer, der die Kawa mit lediglich einem Getriebeschaden angeboten hatte. Dirk verhandelt nach. Hart und unnachgiebig. Der Preisnachlass ist eine kleine Entschädigung für den entstandenen Ärger. Doch das Motorproblem ist damit noch nicht gelöst und Dirk ersteigert sich eine verunfallte VN, die als Motorspender dienen soll. Doch auch hier gibt es eine unschöne Überraschung, denn der Motor läuft nur auf dem hinteren Zylinder. Also wieder Motor raus und aufmachen. 

Kawasaki VN 800 mit quasi unsichtbarer Elektrik

Im vorderen Zylinderkopf findet Dirk die Federn der Auslassventile, die aus irgendwelchen Gründen ihre angestammte Position verlassen haben. Nachdem die VN inzwischen zweimal einen Motorausbau über sich hat ergehen lassen müssen, wird es Dirk zu bunt und er nimmt sich erstmal den Rahmen vor, bevor erneut eine Motortransplantation stattfindet. Der Rahmen wird gestrippt, von allen möglichen Halterungen, Laschen und Ösen befreit und die überflüssig gewordenen Bohrungen und Löcher zugeschweißt. Anschließend verlegt Dirk Teile des Kabelbaums durchs Rahmenoberrohr und lässt die Elektrik weitgehend aus dem Sichtfeld verschwinden.

Wie bei vielen Projekten, bekommt auch dieser Umbau eine gewisse Eigendynamik, der sich Dirk nicht entziehen kann. Er entschließt sich, den Bobber kompromisslos umzusetzen. Er besorgt sich einen Sportstertank, der angepasst wird, verwendet Teile, die sich noch in seinem Fundus befinden, kürzt die Gabel um gute acht Zentimeter, um die Bobber-Linie zu wahren, und montiert die Lenkerstummel einer Honda CBR900 an die Gabelholme, auf die er zöllige Rohre aufpresst.

 

Auch bei den Rädern gibt es keinen Kompromiss

Ein S&S-Luftfilter versorgt den Single-Vergaser mit Sauerstoff, zwei minimalistische Auspuffrohre übernehmen den Abtransport verbrannter Gase und sorgen für knackigen Sound. Der Motor wird gereinigt und mit einem silbernen Mattlack optisch aufgewertet. Auch bei den Rädern gibt es keinen Kompromiss. Speichen sind Pflicht, genauso wie die Größe von sechzehn Zoll. Auch wenn Shinko-Gummis ein fast identisches Profil aufweisen und erheblich billiger sind, entscheidet sich Dirk für authentischen Firestones. 

Obwohl die Zeit rennt, übernimmt er auch noch die Lackierung selbst. Im ersten Entwurf wird der Tank von einer japanischen Kriegsflagge überzogen, was auf den Fotos, die vorab in einem Forum zu sehen sind, richtig gut aussieht. Doch nicht für Dirk: »Ich war mir nicht sicher mit der Lackierung und als ich das Moped ins Tageslicht rausgeschoben hatte, fand ich sie eigentlich doof.« Also alles nochmal von vorn. Diesmal sollen es klassische Scallops richten. Nachdem der neue Lack aufgebracht ist, stellt sich auch Zufriedenheit ein. Und selbst seinen Zeitplan hat Dirk eingehalten und die VN pünktlich fertigbekommen. Respekt!

Der seitliche Kennzeichenträger ist eine simple wie geniale Konstruktion aus einem alten Lenker, den Dirk auf die Achse aufgeschweißt und gegen das Verdrehen gesichert hat

Damit die Tankoptik nicht unter einem störenden Dashboard leiden muss, wandert der Tacho rechts neben den Zylinder

Der Solosattel mit den Springfedern kommt, wie der kleine Scheinwerfer, aus dem Zubehörhandel

Typisch für den Bobber-Look sind die einheitlichen Raddimensionen. Diese VN rollt vorn wie hinten auf 16-Zoll-Rädern mit Speichenfelgen

Ein Hoch auf moderne Zeiten, zumindest was Elektrik und Beleuchtung angeht. Vorbei die Ära schwülstiger Monsterblinker, die jede noch so schöne Linie am Motorrad versauen konnten. Die kleinen LEDs für hinten hat Dirk in den Seitendeckelenden versteckt

Vorn klemmen kleine LED-Leisten unter den Handhebelarmaturen

Es gab sicherlich viele Gründe das Projekt zu kippen und einfach hinzuschmeißen. Doch einen Routinier schocken solche Widrigkeiten nicht. Er hat sein Ziel immer fest vor Augen, bis das Ergebnis auf Rädern steht

Der kleine Scheinwerfer stammt nicht etwa aus einer der zahlreichen und namhaften Customschmieden, er kommt aus China. Dort weiß man offenbar auch um die europäischen Vorlieben für Motorradzubehörteile

Knapp geschnittener Fender

Pinstripes müssen als Deko reichen

Schlichter Tank in Mattschwarz

Vorsicht, Elektrik!

Hinten ist der Fender ebenso knapp …

… wie vorne

Die gebürstete Optik findet sich an einigen Parts

Die wuchtigen Reifen geben den Bobberlook vor

Der Lenker ist durchaus nicht unbedingt bobberlike

Die S&S-vergaser sind nicht nur für Harley-Fahrer erste Wahl

Die Auspuufanlage verläuft straight auf Motorhöhe

Versteckte Blinker …

Ein klassischer Bobber, reduziert, leicht und kompromisslos

Während vorn ein Harley-Rad zum Einsatz kommt, hat Dirk hinten eine Cooper-One-Felge verwendet, die Schüssel punziert und Speichen eingezogen

 

Christian Heim