Das erste Urteil über die Honda CB 1100 EX ist schnell gefällt und steht im harten Kontrast zur Meinung von Redaktionskollege Carlo Vitpilen: »Ganz nett, aber warum gehst du bei der Kiste so steil?« Die Antwort kommt mir drei Blicke später auf die Silver Dream Machine von 2Loud Custom.

Der Auftrag kommt per Whatsapp: »Schau mal in deine Mails und ruf mich dann an«, schreibt mir Carlo Vitpilen an einem Vormittag, an dem meine Stimmung, wie der Dichter sagt, beschissen ist. Beim Öffnen der Mail wird die auch nicht besser, denke ich doch bei mir: »Boah, warum drückst du mir jetzt den ollen CB-Eimer ab?« Die Euphorie am anderen Ende der kabellosen Leitung beim folgenden Telefonat will entsprechend nicht auf mich überschwappen, bleibt die leichte Erregung ins Carlos Stimme indes nicht unbemerkt. 

Max – Blechnermeister und Meisterblechner

Da Kollege Vitpilen mit seinem Moped-Geilometer aber eher selten ins Klo packt, öffne ich die Bilder einmal richtig und mein Blick schweift konzentriert über den schwarz-silber-chromen Umbau aus Taiwan von 2Loud Custom. Über deren Tracker auf Basis einer 250er-Suzuki verlor ich einst einige – wie ich finde – schöne Zeilen und die Erinnerung an Max, den Blechnermeister und Meisterblechner aus Taipeh kehren zurück. 

Um die Ballonreifen montieren zu können, musste Max die originale Kastenschwinge verbreitern

Erste Wertung: Ganz nett. Aber warum nimmt der eine räudige Honda CB 750 KZ DOHC für das Schmuckstück her? Mit der OHC-Version der CB 750 Four hätte er besser getroffen. Zweite Wertung: Speichenfelgen mit Doppelscheibe? Optisch schon gut, aber diese Kombi gab’s doch nur in der R100 Mystique von BMW. Wertung Nummer Drei: Oh ja. K&N Einzelfilter, da haben sie aber das Custombike neu erfunden. 

Nix Vergaser und Gummifahrwerk

In diesem Moment keimt aber der Samen des Misstrauens an den soeben getroffenen Aussagen anhand eines alten Motorrades als Umbaubasis, denn: Die Filter hängen an einer Einspritzung dran und die mächtigen Rahmenrohre am Heck sehen so gar nicht nach 1980er-Gummifahrwerken aus. Plötzlich macht auch der vermeintlich überflüssige ABS-Ring am Vorderrad Sinn. Die Kiste hat ABS, Einspritzung, ein stabiles Fahrwerk in Serie, 90 statt 77 Pferdchen und 1140 anstelle der vermuteten 743 Kubik im luft-/ölgekühlten, stark verrippten Reihenvierer.

Der mächtige Ölkühler sorgt für die thermische Stabilität des luftgekühlten Reihenaggregats

Obacht, Irrtum: 2LoudCustoms hat hier eine Honda CB 1100 EX von 2014 zu einem Motorrad umgebaut, bei dem (Zitat Vitpilen): »… ich nicht mehr kann und mich heute Nacht in meinen eigenen Lusttropfen wälzen werde.« Ich bin da bei ihm – also im Kopf. Ja, sie ist ein feuchter Traum, diese Silver Dream Machine von 2Loud Custom. Blickfang und zentrales Element ist wie schon in der Serie der riesige, luft-/ölgekühlte Four. Der letzte seiner Art. 

Das mahlende Fauchen soll an die CB 750 Four erinnern

Bei Honda ist ihm mit unterschiedlichen Steuerzeiten der Zylinder zwei und drei eine charmant schabende Orchestrierung andesignt worden, die an das mahlende Fauchen von Urgroßmutter CB 750 Four erinnern soll. Auf die offenen Filter per Powercommander neu abgestimmt, steht dieses Eckdatum japanischer Motorenbaukunst genau so kräftig im Futter, wie es die kinderarmdicken Krümmer vermuten lassen. Jene stehen übrigens auch beim Original so imposant im Fahrtwind, werden hier aber von kleinen konischen Endtöpfen aus dem 2Loud-Workshop nach hinten ergänzt. 

Das Instrument kommt aus Berlin, eingelassen ist es in einen Tank, der eigenhändig aus Alublech getrieben wurde. Die Benzinpumpe musste dafür weichen, sie sitzt nun unterm Spritgefäß

Schwinge? Original. Also … fast. Zur Montage der sehr klassisch profilierten 18-Zoll-Reifen mit ihrem hohen Querschnitt auf den Serienfelgen der Honda musste Max die Schwinge etwas verbreitern und findet im gleichen Arbeitsgang noch einen neuen Platz für den Lithium-Ionen-Akku. An den neu gebauten, gekürzten Heckrahmen stützt sich dieser hintere Teil des Fahrwerks mit Dämpfern von Gears-Racing ab.

Honda CB 1100 EX – Man beachte die nierenförmigen Seitendeckel

Nehmen wir einmal kurz an, alles bisher Gelesene über dieses Juwel sei das absolute Minimum des modernen Custombike-Baus. Dann kommen wir jetzt zur Kür und da muss auch ich leicht errötet meine Erregung ob der 2Loud‘schen Kreativität und Schaffenskraft gestehen: Man beachte die beiden nierenförmigen Seitendeckel im Rahmendreieck, die so heimelig an die Hörer alter Wählscheibenfernsprechapparate erinnern. Darin hat Max die Bordelektrik versteckt, inklusive der Steuerungen für ABS, Wegfahrsperre und das ganze andere moderne Zeugs. Ich bin entzückt, die Freude ist groß. Wenige Zentimeter davor hat er Gleichrichter, Zündschloss und den Kabelbaum der Zündung und Einspritzung gepackt, auch um das Cockpit komplett auszuräumen.

Ein Hauch von Rennsport gefällig? Die Fußraste und auch der Bremshebeltritt sind nach außen hin abgeschrägt. Das ist schräglagenfreundlich

Gabel, Lenkkopf und Gabelbrücken sind Serienteile, die neue Wide Bar beheimatet nun die Steuerelektrik der Minischalter. Kleiner Zwischenapplaus noch für die neuen, sehr klassisch gestylten Hydraulikarmaturen für Bremse und Kupplung von KustomTech, denkt man bei denen im ersten Moment doch an aufgearbeitete Teile aus längst vergangener Zeit. 

Max wurde als bester Blechner Taiwans ausgezeichnet

Habe ich schon die Geschichte von Max erzählt, der einst als bester Blechner Taiwans ausgezeichnet wurde? Nein? Dann jetzt: Max, der Macher hinter 2LoudCustoms, wurde einst als bester Blechner Taiwans ausgezeichnet. Und da wohnen immerhin knapp 24 Millionen Menschen, solch ein Titel fliegt einem also nicht einfach zu. 

Das Heck ist knackig kurz, die Sitzbank noch kürzer

Wir profitieren von diesem Können heute bei der seligmachenden Betrachtung des handgefertigten Tanks der Silver-Dream, dessen Blase der Meister aus einer Platte Alublech getrieben hat. Vor dem Tankeinfüllstutzen hat Max gleich noch den kleinen Motogadget-Tacho eingelassen. Tacho rein, Benzinpumpe raus: Aus Platzmangel in dem neuen Tank muss Max eine andere Benzinpumpe in einem zusätzlichen Kasten unter den Tank vor die Sitzbank montieren. Wohin der Blick auch schweift, er findet immer was enorm Schönes und Cleveres an dieser Kiste. Bon!

Honda CB 1100 EX – Moderne Basis, alter Look

Fassen wir kurz zusammen: Ein Custombike, dessen Basis erst nach vielen Blicken und Irrtümern erkannt wird. Die Umbauten sind so gehalten, dass alles nach einem alten Motorrad aussieht, trotzdem aber alle technischen Lösungen der hochmodernen Basis in Gänze erhalten bleiben. Zusätzlich ist das Basismotorrad weitverbreitet, man findet überall Ersatzteile, der Hersteller steht für echte Qualität und für die Bezahlung des Mopeds müssen weder Haus noch Hof noch die eigenen Nieren verpfändet werden. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber für mich klingt das nach der Definition des perfekten Custombike. Oder irre ich mich?

Info | Instagram: @2loud_custom

 

 

 

Jens Kratschmar