Rahmen, Räder, Tank, Gabel, Lenker – für Traditionalisten die einzig nennenswerten Teile eines Motorrades. Kyle demonstriert diesen Minimalismus an seiner Harley-Davidson UL.

Fast ist die Bezeichnung  »Traditionalist« zum Schimpfwort mutiert. Aber als wir Kyle treffen, fällt uns kaum ein anderes Wort ein, um ihn zu beschreiben. Ehrlich und liebenswert lernen wir ihn und seine Frau Brandi in Kalifornien kennen, im Schlepptau haben sie einen winzigen Pick-up, auf dem sie ihre Flatty mit ausgebautem Vorderrad quer durch die Staaten geschippert haben, um hier an einer Show teilzunehmen. Laute Töne spucken sie nicht, eine große Show ist genauso wenig zu erwarten. 

Leadfist Cycles – Metallarbeit und Restaurierung

Zu Hause in Woodstock im Großraum New York betreibt Kyle seinen kleinen Shop »Leadfist Cycles«, wo er sich auf Metallarbeiten und Restaurierungen spezialisiert hat. Aber klar, auch Custombikes kommen nicht zu kurz, Kyle bevorzugt dabei den Stil der 60er und 70er Jahre. Bevor neue Teile gebaut oder gekauft werden, arbeitet er erstmal mit dem, was noch vorhanden beziehungsweise erhalten ist.

Klassischer Vergaser von Linkert an untypischer Stelle, er wurde auf die linke Seite verlegt. Daneben wurde der Motor mit neuer Leinweber-Nockenwelle und Panhead-Vierganggetriebe, handgeschaltet natürlich, neu aufgebaut

»Die Basis muss einfach stimmen, der Rest kommt dann schon.« Gut, manchmal entwirft auch er Teile am Zeichenbrett und baut sie danach von Grund auf neu, aber im Vordergrund stehen trotzdem immer das Alter und die Geschichte des jeweiligen Motorrades. »Ich möchte, dass jedes meiner Bikes eine Geschichte erzählt und gänzlich für sich allein steht.« 

Mit der Shovel durch Queens und Brooklyn bügeln

Aufgewachsen ist Kyle in Queens, umgeben von Seventies-Bikes. Sein Vater war Biker, noch so ein richtiger. Teilweise besaß die Familie nur ein Fahrzeug, eine original 71er Shovelhead. Der Vater hatte sie Anfang der Siebziger für 1.500 Dollar gekauft.  Bei Familienausflügen bügelt Kyle auf dem Sozius der Shovel durch Queens und Brooklyn.

Kaum zwei Handbreit ist der Lenker, die Griffe lässig umwickelt. Bequem ist das nicht, ein optischer Kracher allemal

Auf dem Kopf trägt er einen deutschen Wehrmachtshelm – ein Nachbau versteht sich, ein Kollege des Vaters hatte das Ding besorgt. Und als traditioneller Mensch, der Kyle ist, ist klar: Die alte Shovel hat die Familie nie verlassen, sie ist heute Kyles Daily-Diver. Noch etwas hat Kyle von seinem Vater übernommen, nämlich die Art, Motorräder zu bauen.

»If shit didn’t break on your bike, you wouldn’t learn how to fix it«

Er bezeichnet seinen Vater liebevoll als »King of Recycling«, denn die Zeiten damals waren hart und so wurde repariert und nicht neu gekauft. Eins gab ihm Dad dadurch mit auf den Weg: »If shit didn’t break on your bike, then you wouldn’t learn how to fix it« – das sollte zu Kyles Philosophie werden. Und weil sein erstes Bike eine 65er Triumph war, gab es reichlich Gelegenheiten, Dinge zu reparieren. Bei seiner ultraschmalen Flathead ist das nicht anders.

Eine optische Aufwertung des Flatties geben die langen Zylinderkopfschrauben

Das Ziel für den Umbau war klar. Ein Bike zu Showzwecken sollte gebaut werden, allerdings eines, das absolut fahrbar ist. Warum Kyle ausgerechnet eine Flathead zur Dame der Wahl machte, beantwortet er lapidar: »Ich mag Motorräder, die aussehen, als wären sie in Bewegung, obwohl sie still stehen.« Das verkörpert der alte Flathead für ihn in Perfektion. 

Harley-Davidson UL – Flathead mit Panhead-Getriebe

Den Motor, Baujahr 1946, überarbeitete Kyle komplett und versah ihn mit einem Viergang-Panhead-Getriebe. Auch der Starrrahmen kommt von einer Panhead, ist allerdings gekürzt. Was hierzulande schwierig ist, macht in den Staaten seit jeher wenig Probleme. Das Frontend besteht aus einer geschmälerten Springergabel und führt ein 21-Zoll-Rad, hinten drehen 18 Zoll.

Kyle Edgar heißt der Mann hinter »Leadfist Cycles«, der den reduzierten Stil perfektioniert

Den unverschämt schmalen Lenker und viele Teile mehr hat Kyle selbstgebaut. Auch der stark modifizierte Wassell-Tank, der nun eher an eine Mondlandschaft erinnert, stammt vom Mann aus Woodstock. »Erzähl uns mehr zum Motorrad?«, betteln wir. »Ach, ihr Europäer, was ihr immer alles wissen wollt«, grinst er, »es ist alles dran, was notwendig ist, und es läuft hervorragend.

Kyles Lady gestaltete Schaltknauf und Sitzbank

Den Rest hab ich euch auf euer Datenblatt geschrieben.« Noch mehr weniger geht nicht. Obwohl eines wäre da noch. Schaltknauf und Sitzbank wurden von Kyles Lady gestaltet, mit Können und Liebe. 

Info | leadfistcycles

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.