Ein atemberaubender Mix aus Husqvarna-Rahmen und Ironhead-V2 aus einer Harley-Davidson Sportster wird zum »Vintage Racer that never was«.

Das Blubbern der Kaffeemaschine ist das einzige Geräusch, das um diese frühe Uhrzeit die Küche mit Leben füllt. Der Blick aus dem Fenster verrät: Erste Sonnenstrahlen blinzeln über den zugefrorenen See. Es ist Zeit, Bilder von einem der faszinierendsten Custombikes zu machen, die in den vergangenen Jahren gebaut wurden. Das Motorrad hat über Nacht draußen gestanden, ist total vereist. »Sieht doch super aus«, ruft sein Besitzer zu meinem Erstaunen.

Der Ironhead-V2 stammt von einer Harley-Davidson Sportster

Knapp 30 Jahre ist es her, dass Jonas Wickman seine antike Fantasy-Knucklehead gebaut hat, mancher CUSTOMBIKE-Leser mag sich an das wegweisende Motorrad erinnern. Lang hat er pausiert, aber dann präsentiert der Schwede ein noch viel extremeres Bike. Begonnen hat er dieses Projekt mit einer intensiven Suche nach alten Teilen und Stahlrohren. »Ich hatte ein Motorrad vor Augen, das so in den 20er-Jahren hätte gefertigt werden können, aber nie gebaut wurde«, wirft Wickman zunächst Fragen auf.

»Bare Bones Speedster« nennt der schwedische Erbauer seinen Harley-Husqvarna-Mix. Statt eines 550-ccm-Einzylinders pocht jetzt ein 1450er-Sportster-V2 zwischen den fragilen Rahmenrohren

Er beschreibt, wie er das Bild eines zeitgenössischen Boardtrack-Racers vor Augen hatte, beschreibt seine Idee treffend mit dem Begriff »Bare Boned Speedster«. Er wollte ein einzigartiges Zweirad erschaffen, rau, aber elegant, zerbrechlich, aber potent. Jonas erstand den Rahmen einer Husqvarna von 1926. Normalerweise verrichtet ein 550-ccm-Einzylinder mit 18 PS sein eher gemächliches Werk in diesem Rohrgestell. Viel zu wenig für Wickmans Pläne. Stattdessen setzte er auf einen auf 1450 ccm aufgebohrten Harley-Davidson-Sportster-Motor von 1968.

»Kunstvoll bearbeitete Teile müssen realistisch sein«

Der Stockholmer modifizierte den Rahmen, besorgte 23-Zoll-Räder samt chremeweißer Coker-Tire-Vintage-Bereifung und verlängerte den alten Husqvarna-Tank um satte elf Zentimeter. Von Anfang an spielte die Lackierung eine große Rolle. Als Lackierer für Möbel und Dekoartikel wußte Jonas ganz genau wie man Patina herstellt, die nicht gefaked, sondern äußerst authentisch wirkt. Dazu Jonas: »Kunstvoll bearbeitete Teile müssen realistisch sein und absolut überzeugend.« Doch würden die Techniken, die er auf Holz anwendet auch bei einem Motorrad funktionieren?

Die Eiskruste steht dem Bike perfekt

Der Deko-Painter grundierte sein Bike in Graphitgrau, pinselte Möbelfarbe mit einer Bürste darüber und linierte die unkonventionell präparierten Teile. Weil Wickman das Bike auf seinen Nachnamen getauft hatte, kreierte er ein Logo aus der Schrift des New-Yorker-Magazines. Die daraus entstandenen Aufkleber platzierte er auf Tank und Getriebegehäuse. Anschließend erhielten die Oberflächen einen Überzug aus pigmentiertem Bienenwachs und Babypuder.

Dieses Motorrad ist eine formvollendete Skulptur

Eine aufwändige Strahlprozedur mit nassem Sand besorgte zum guten Schluss den erwünschten Used-Look. »Einige Teile ließ ich aber unlackiert, damit sie rosten können«, zeigt Jonas auf die Fahrradfußrasten. Unweigerlich stellt sich die Frage, wieso jemand so viel Energie, Geld und Zeit in ein derart unpraktisches, sinnfreies Gerät stecken kann. Doch eigentlich stellt sie sich nicht. Dieses Motorrad ist eine formvollendete Skulptur, die zu allem Überfluss auch noch fahren kann. Gehts denn besser?

Auch die Reste alten Sprits am Vergaser werden nicht wegpoliert

Das Eis knirscht unter den schmalen Reifen. Das Weiß reicht bis zum Horizont. Wir könnten uns ebenso auf dem Salz in Bonneville befinden. Wenn nur diese lausige Kälte nicht wäre. Aber ich bin mir sicher, dass schwarzer Kaffee aus der Thermoskanne noch nie so gut geschmeckt hat wie heute.

 

Dirk Mangartz