Wenn Leidenschaft und Perfektionismus aufeinandertreffen, kann das ganz schnell eine brisante Mischung werden. Plötzlich wird aus einem vermeintlich einfachen Projekt wie dieser Harley-Davidson Shovelhead eine Dauerbaustelle, weiten sich die Arbeiten aus, bis am Ende alles perfekt ist. Und dann steht man verwundert da und fragt sich: »Wie konnte das passieren?«

Udo Kohse ist ein erfahrener Customizer, der in der Welt der umgebauten Motorräder nichts mehr beweisen muss, außer sich selbst vielleicht. Und hier fängt das Projekt »Shovel Cafe Racer« an, interessant zu werden, oder besser gesagt zu einem Problem. Nicht für die Motorradwelt, nicht für die Szene, nur für Udo, den der Ehrgeiz derart gepackt und nicht mehr losgelassen hat, bis seine Ideen und Vorstellungen umgesetzt waren.

Gecleant, aufgeräumt und mit unzähligen Details versehen. Mainstream und Massenproduktion findet man so gut wie nicht an Udos Shovel

Alles fängt mit einem der üblichen Kundenbesuche an, die in Udos Werkstatt vorkommen. »Mein Kunde hatte keinen Bock mehr auf das alte Ding«, berichtet Udo. »Dabei stand die Shovel optisch gut da, hatte noch die Serienfelgen drauf, war technisch aber in einem eher bescheidenen Zustand.« Trotzdem kauft er sie an, will sie mit wenigen Eingriffen wieder flott machen und schnell weiterverkaufen. Das Bike kommt auf die Bühne, wird inspiziert und Fehler, so Udo sie gleich findet, behoben. Doch der Motor läuft nicht mehr und auch am Getriebe entdeckt der Nauheimer Mängel, die sich aber nicht als schwerwiegend herausstellen.

Harley-Davidson Shovelhead – Die Eskalation beginnt …

Nur eines stört ihn: »Das Bike war ein wilder Mix aus verschiedenen Stilen und sah dann auf den zweiten Blick doch nicht mehr so gut aus. Also habe ich spaßeshalber alles abgeschraubt und dann den Rahmen gesehen.« Und genau ab hier beginnt die Eskalation, kommt eins zum anderen, öffnen sich ungeahnte Baustellen, wird jede Arbeit am Bike zum Zeitfresser. Natürlich ist die Harley nicht allein schuld daran, Udo trägt seinen Teil dazu bei, denn seine Ansprüche sind hoch, und da es kein Kundenauftrag ist, kann er sich austoben und seiner Kreativität freien Lauf lassen. »Mir fiel zur Shovel eigentlich nur noch ein Cafe Racer ein, und so habe ich angefangen einen Tank zu bauen.«

»Das Bike war ein Wilder Mix aus Verschiedenen Stilen und sah dann auf den zweitem Blick doch nicht mehr so gut aus. Also habe ich spasseshalber alles abgeschraubt und dann den Rahmen gesehen. Mir fiel dann nur noch ein Cafe Racer ein. So fing ich an, einen Tank zu bauen«

Dann folgen die Räder, die er überarbeitet, die Schwinge, die Stoßdämpfer und so weiter und so fort. Er baut eine schmale Gabel ein und findet immer mehr Gefallen an der Linie des Bikes. »Da ich schon so weit gekommen war, habe ich gedacht, ich mache einfach weiter. Beim Heck hatte ich plötzlich viele neue Ideen, der Öltank war mir vom Volumen her auch zu klein, also habe ich diesen gleich in den neuen Höcker integriert. Alles bekam plötzlich eine Eigendynamik.« Eigendynamik? »Ja, okay, es war eigentlich eine totale Eskalation, alles hat sich verselbstständigt«, gibt Udo leise zu.

Der Bau der Lampenmaske hat rund dreißig Arbeitsstunden verschlungen

Denn die tatsächlichen Stundenfresser sind die Blecharbeiten und die sind sein Lieblingsgebiet, wenn es ans Umbauen geht. Viele der neuen Blechteile will er aus einem Stück herausarbeiten. Für die Front konzipiert er eine Lampenmaske, der erste Anlauf geht gleich in die Hose. Doch dann fuchst sich der Autodidakt rein und schafft ein Unikat, das perfekt mit den anderen Parts harmoniert. Der Nachteil: »Der Bau der Lampenmaske hat mich rund dreißig Arbeitsstunden gekostet.« Eigentlich unbezahlbar, wenn es ein Kundenauftrag gewesen wäre, doch so …

»Die Bremsscheiben sind eine Sonderanfertigung. Leider gab es nichts auf dem Markt, was zu den Serienrädern gepasst hätte. Also habe ich welche Anfertigen lassen«

Auch die Primärabdeckung entpuppt sich als langwierige Arbeit, bleibt mit zwanzig Stunden aber beinahe moderat. Doch dem Perfektionisten ist nichts gut genug und so arbeitet sich Udo durch alle Bereiche durch, ohne Rücksicht auf Stunden. Für ihn zählt nur noch das Ergebnis. Die Elektrik wird neu verkabelt, eine Motogadget Unit installiert sowie neue Blinker und Brems- und Rücklicht. Selbst bei den Scheibenbremsen darf es nichts von der Stange sein, nein, die Dinger müssen auch noch optisch perfekt zu den Gussspeichenrädern passen.

Der Umbau der Harley-Davidson Shovelhead frisst Geld wie ein hungriges Tier

Doch wo findet man Bremsscheiben mit fünf Stegen? Nirgends, wie Udo sehr schnell feststellt. »Es gibt nichts Passendes auf dem Markt, was zu den Felgen gepasst hätte. Schließlich habe ich eine Firma gefunden, die mir die Scheiben nach meinen Vorgaben hergestellt hat. Natürlich waren die voll begeistert, genau zwei Stück extra für mich herzustellen. Dank der minimalen Stückzahl ist der Preis dementsprechend hoch ausgefallen.« Inzwischen frisst der Umbau das Geld wie ein hungriges Tier, das nie genug bekommen kann. Dabei fehlt eine der ganz großen Baustellen auf der Liste noch – der Motor.

So schön kann »Handmade« sein. Alle Blecharbeiten hat Udo selbst ausgeführt. Selbst für den erfahrenen Customizer eine neue Herausforderung, der dafür neue Wege beschreiten musste

»Ich traute dem Ding nicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich niemals einen ungemachten Motor verbaue und außer Haus gebe.« Kurzerhand bittet er Harley-Motorenspezialist Bernd Kramer, der für ihn auch sonst alle Motoren revidiert, drüberzuschauen. »Bernd hat dann eine Reihe unschöner Entdeckungen gemacht. Der Motor hatte verschieden große Kolben drin und auch die Ventile waren nicht identisch und wiesen unterschiedliche Durchmesser auf. Am Ende war dann noch mal eine schöne Summe weg. Doch es ist, wie es ist, je älter der Motor, umso teurer wird es.«

Premiere – Das erste Bike-Projekt ohne konkreten Auftrag

Einzig das Vertrauen in seine Fähigkeiten und die Gewissheit, dass am Ende immer alles gut wird, hält Udo am Laufen, und dass die Rahmenbedingungen etwas anders sind als sonst. »Für mich war es eine Premiere, da ich das erste Mal ein Bike einfach so, ohne konkreten Auftrag gebaut habe.« Auch der TÜV macht ihm keinen Strich durch die Rechnung, schließlich ist der Rahmen original geblieben und haben sich alle Änderungen so gestaltet, dass einer Straßenzulassung nichts im Wege steht. »Tatsächlich waren es nur ein paar Eintragungen«, erklärt Udo beinahe erleichtert.

Ende gut, alles gut. Udo kann nach seinem Umbau-Exzess schon wieder lachen. Schließlich hat er mit seinem Shovel-Cafe-Racer erneut ein außergewöhnliches Bike zum Leben erweckt

Dass seine Preiskalkulation aufgrund der unzähligen Stunden wohl »am Arsch« ist, darüber möchte er nicht groß reden, schließlich hat er alles eingesetzt, was seine Werkstatt zu bieten hat. »Manche Werkzeuge musste ich mir erst bauen, um Arbeiten entsprechend ausführen zu können. Rückblickend betrachtet aber war es ein geiles Projekt, bei dem ich wieder viel dazugelernt habe. Es war fast wie beim Prototypbau.«

Einen Cafe Racer auf Basis einer Harley-Davidson Shovelhead sieht selten

Also alles wieder gut, nach der totalen Eskalation? »Ja, beinahe. Zeit, wieder in den Alltag zurückzukehren und neue Kundenaufträge abzuwickeln«, grinst Udo. Wir können derweil das Bike auf uns wirken lassen und die vielen Details genießen. So eine Eskalation hat schließlich auch etwas Gutes. Einen derart ungewöhnlichen Cafe Racer auf Shovel-Basis sieht man nicht alle Tage.

Info | www.bike-project.com

 

 

 

Christian Heim