Arie VanSchyndel baute auf Basis einer Harley-Davidson EL einen Chopper, der nach Einfühlungsvermögen verlangt. Wir blicken auf die Anfänge des Chopperbaus zurück.

Sie gelten als die Altmeister des Customizing: Barry Cooney, Arlen Ness, Dave Perewitz oder Donnie Smith. Objektiv betrachtet wurde die alte Riege allerdings abgelöst, hat die amerikanische Custombike-Elite gewechselt, auch weil die Männer der ersten Stunde teilweise das Zeitliche gesegnet haben. Jedenfalls ist diese neue Generation anders ausgerichtet – seit einiger Zeit aber auch sehr stark rückwärtsblickend. Ihre Ideen für Neuaufbauten und Restaurierungen von Choppern finden sie in alten Magazinen. 

Was war in den Anfangszeiten verrückt genug?

Nur, was war das damals überhaupt, ein Chopper? Wie weit hatte in dieser Zeit ein Bike vom Serienzustand abgeändert zu sein? Welche Kaufteile waren damals angebaut und vor allem, wo kamen die her? Was war in den Anfangszeiten verrückt genug, was zu viel des Guten? Und der entscheidende Punkt: Was war schön? Das alles sind Fragen, mit denen sich frühe Chopperbauer herumzuschlagen hatten. Heute sind wir in unserer Ansicht geprägt. Von einer Auswahl tausender »schön« gebauter Chopper, abgebildet auf Postern, gezeigt in Bikeshows und natürlich in Zeitschriften. Das formt ein Idealbild!

Ein Kunstwerk fährt man nicht, man schaut es an. Arie wolllte zeigen, was geht, und keinen streetlegal Chopper bauen – nicht mehr, aber gewiss auch nicht weniger

Doch wie sahen diese ersten Chopper damals aus, als sie noch nicht definiert dem Diktat von Proportionierung und Linienführung unterlagen? Das hier vorgestellte Bike wurde Anfang bis Mitte der sechziger Jahre im letzten Jahrhundert entworfen. Ob der Chopper jemals in dieser Art real existierte weiß keiner. Eines aber ist sicher: Was ihr hier seht, ist kein Survivor – kein Überlebender aus der Urzeit. Dieser Chopper ist nach dem alten Vorbild ganz neu aufgebaut. 

Ein Retrochopper nach einem alten Poster des Künstlers David Mann

Arie VanSchyndel heißt der Erbauer. Nie gehört? Nun, dieser Arie kommt aus Kalifornien, dort szenebekannt und Betreiber der Werkstatt V.E.E. MFG in Nord San Diego. Und er baute dieses Exemplar eines Retrochoppers nach einem alten Poster des Künstlers David Mann. Arie hat eine Vorliebe für das Alte, schon mit seinem ersten Motorrad, einer 1967er Triumph, orientierte er sich an der Historie. Beruflich entwickelte sich Arie in in den vergangenen 20 Jahren zum Spezialisten in Sachen Überrollkäfige für Sport- und Rennwagen und bei der Anfertigung von Federungssystemen für den Rennsport.

Der angeschweißte und verzinnte Tank bekam natürlich die Flügel seines Vorbildes verpasst. Den Tankdeckel sieht man allerdings auf der Vorlage nicht, so konnte Arie beherzt einen kristallenen Türknauf aus irgendeiner Trödelkiste verbauen

So ganz nebenbei wurde seine Firma im Norden San Diegos für Chopperfans zum Anlaufpunkt für Rahmenänderungen und handgefertigter Lenker. Und weil seine Arbeiten bei der New-Breed Chopper-Society als gut angesehen sind, bekam er eine offizielle Einladung zur Born Free Show. Retrochopper und Bobjobs sind das Thema von Born Free – mit geringen Ausnahmen, denn die bestätigen die Regel. Arie dachte nicht im Traum daran, diese Regel zu brechen. Eher noch daran, sie zu zementieren.

Das Bike schien so unkonventionell, so absurd, fast lächerlich aussehend

Er stellte sich für seinen Beitrag die Belebung eines Meilensteins vor. Einen aus seiner Vorbildsammlung: »Ich habe dieses Poster immer gemocht. Weil … ja, weil das Bike so unkonventionell schien! So absurd, fast lächerlich aussehend, dass niemand jemals auch nur daran denken würde, es bauen zu wollen«. Also genau das Richtige für den Schrauber mit dem Faible für frühere Zeiten. 

Zur Geschichte – David Mann ist der wohl bekannteste Künstler der Chopperkultur. David selbst fuhr auch Chopper. Die meisten seiner Kreationen baute er jedoch Monat für Monat mit Bleistift und Pinsel auf Papier. Dave starb 2004, seine Zeichnungen sind unvergessen und prägend. Seine Zeichnung »Building a Chopper« entstand, als er noch am Anfang seiner Zeichnerkarriere war. In seinen frühen Arbeiten die als Poster von Ed »Big Daddy« Roth vertrieben wurden, malte er nicht selten die Bikes der Chopperpioniere vom El Forasteros MC. Dave war da seit 1965 Mitglied … irgendwann wollte der Club nicht länger, dass er ihren Namen in seine Zeichnungen einbrachte. So wurden sie eben umbenannt, wie beispielsweise zum MC Road Vultures – dem Straßengeier MC

»Ich habe ich mit kaum mehr als einem 1950er EL-Panhead-Motor begonnen«, Schwungscheiben für mehr Kolbenhub und ein verkrumpelter H-D-Wishbone-Rahmen lagen auch noch bei Arie rum. Arie ließ den Motor bei Bob Moreland überarbeiten. Der baute ihm einen Monster-Panhead auf. Zu der schon vorhandenen 114,3-mm-Stroker-Kurbelwelle kamen noch Zylinder und Kolben mit einem Durchmesser von 92 mm und Billy-McCahill-Zylinderköpfe von der revitalisierten Firma STD.

Harley-Davidson EL Panhead als Basis

Auf Arie selbst kamen massive Arbeiten am Rahmen zu. »Alle Rohre und Fittings waren in irgendeiner Form zu überarbeiten. Den Lenkkopfwinkel behielt ich bei 30 Grad, aber den Lenkkopf selbst setzte ich zweieinhalb Zoll höher«. Der Rahmen ist nun im Sitzbereich verschmälert, beide Aufnahmen der Hinterachse etwas verfeinert und ins Flügeldesign aufgenommen. Natürlich bekam der angeschweißte und verzinnte Benzintank die Flügel seines Vorbilds verpasst.

1967 entwarf der Zeichner David Mann diesen Chopper auf einem Bild. Arie hat das Motorrad Wirklichkeit werden lassen, eine besondere Geschichte

Was ehemals als ein Fragment einer VL-Springergabel zu Arie kam, wurde verschmälert, verlängert und im vorgegebenen Stil gebogen. »Und die Fußrasten?«, fragt ihn Ben, unser Fotograf. Arie, der sich an die Zeichnungsvorlage hielt, erwidert: »Habe ich weggelassen, die Kerle hatten ja früher – in mancher Hinsicht – wirklich nur das Nötigste angebaut …« 

Harley-Davidson EL – Wie ein blutiger Geier

Auch beim Apehanger, den Risern, der Sissybar und der unpassend scheinenden, frei im Raum endenden Sitzbank hielt sich VanSchyndel an die Vorgaben des Posters. Irgendwie hat das Bike so etwas gewollt »Zerrupftes«, wirkt wie ein blutiger Geier, der sich aufbäumend mit seinen Artgenossen um Beute zankt … war es nicht genau das, was Dave Mann schon in seiner Zeichnung darstellen wollte? Die Macher der Yokohama Mooneyes Hot Rod Custom Show jedenfalls fanden den Chopper so gut, dass sie Arie eine Einladung zusteckten. Für VanSchyndel bedeutet das: Die nächste Stufe zur Ruhmeshalle der Customizer ist genommen.

Info | veemfg.bigcartel.com

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.