Langhubschlegel meets Sport: Die Buell-Rohrrahmenmodelle sind unvergleichlich. Rar waren sie schon immer und wer sich noch eine urwüchsige Kanonenkugel wie die Buell S1 zulegen will, sollte sich beeilen. Gutes Material wird immer teurer.

Einige Millionen Motorradfahrer sind dem Harley-V2 verfallen. Special Feeling und so. Oder anders gesagt: Der durch die ungleichmäßige Zündfolge bedingte Rhythmus der luftgekühlten 45°-Aggregate ist sehr speziell, der pulsierende Schub und die fein austarierten Vibrationen unnachahmlich. Nur leider ist dieser Prachtantrieb dazu verdammt, in schräglagenfeindlichen Choppern und Cruisern mit vorverlegten Fußrasten oder Trittbrettern für Vortrieb zu sorgen. Selbst bei den Sportster-Modellen ist Sportlichkeit nicht wirklich ein Thema – sieht man mal von den raren XR-Trackern und der Roadster ab.

Lediglich 4672 S1 Lightning wurden gebaut, wovon die meisten mittlerweile verunfallt, verbastelt oder vergammelt sein dürften. Halbwegs originale, gut gepflegte Exemplare sind schwer zu finden und bewegen sich preislich auf das Niveau des damaligen Neupreises zu

Dass der vergleichsweise kompakte 1200er mehr als cruisen kann, weiß auch ein junger, rennsportbesessener Fahrwerkskonstrukteur namens Erik Buell. Anfang der 80er Jahre bringt er als Testingenieur bei Harley-­Davidson den FXR-Modellen Steifigkeit und Kurven­tauglichkeit bei, ehe er sich einige Jahre später als ­Privatier daran macht, Harley-Motoren in sportliche Fahrwerke zu implantieren. Die Company findet Gefallen an den sportlichen ­Maschinen und steigt 1993 bei Buell ein. Zwei Jahre ­später debütiert schließlich die S1 Lightning – ein Meilen­stein der jüngeren Motorradhistorie.

Buell S1 Lightning – Alles andere als gewöhnlich

Rau, sparta­nisch, brutal und alles andere als gewöhnlich, verkörpert sie in Reinkultur, was Buell-Motorräder auszeichnet. Als Antrieb fungiert eben jenes, ab 1988 gebaute 1200er-Sportster-­Aggregat. Der luftgekühlte Zweizylinder-V-Motor mit 45° Zylinderwinkel und Trockensumpfschmierung wurde für Buell mit Screamin’-Eagle-Parts auf etwas mehr als 80 Pferdestärken leistungsgesteigert.

Viel geschraubt werden muss nicht, um aus der Serienmaschine eine zeitlose Schönheit zu machen: Lenker und Spiegel (LSL), Luftfilter, Auspuff und Krümmer (Buell Pro Race) sowie Kennzeichenhalter (Eigenbau) ersetzen und die wenigen unnötigen Abdeckungen und Verblendungen entfernen – fertig

Die S1 besitzt einen unten offenen Gitterrahmen, der mit der Einheit aus Motor, Getriebe und Hinterradschwinge vibrationsgedämpft verbunden ist. Während die Lagerung der Hinterradschwinge im Motor- und Getriebegehäuse erfolgt und somit nicht von den Antriebskräften beeinflusst wird, ist die gesamte Einheit über drei Gummielemente elastisch mit dem Rahmen verschraubt.

Der Radstand ist dem Handling zuliebe ultrakurz gehalten

Diese­ sogenannte „Uniplanar“-Aufhängung lässt Bewegungen des Motors in Vertikalebene zu, quer dazu jedoch nicht (ein ähnliches Konstrukt wurde bereits 1967 bei der ­Norton Commando­ angewandt). Das führt dazu, dass die Maschine lebt und bebt, ohne dass es zu größeren Vibra­tionsschäden kommt. Der Radstand ist dem Handling zuliebe ultrakurz gehalten, am Vorderrad verzögert eine ebenso gewaltige wie leichte Einscheibenbremse. Unter dem V2 lugen das Federbein und der Auspuff hervor.

Bremsscheibe – Bei der vorderen Single-Disk schlagen die Floater aus, dann lässt sich die Scheibe mehrere Millimeter hin- und herschieben. Reparatur machbar, aber vergleichsweise aufwändig. Eine neue Scheibe mit besseren Floatern kostet zirka 300 Euro

Dabei folgte die Form nur der Funktion: Buell hat seine „Trilogie der Technik“ – Zentralisierung der Massen, Maximierung der Rahmensteifigkeit und Minimierung der ungefederten Massen – konsequent umgesetzt. Kein Wunder, dass das ultrahandliche Powerpack bis heute nichts von seiner Faszi­nation verloren hat und Einfluss auf die gesamte Motorrad­branche hatte. Nicht ohne Grund haben die großen Hersteller mittlerweile unisono große Sammler unter den ­Motor geflanscht und lassen nur noch kurze­ Auspuffstummel seitlich herauslugen.

Buell S1 Lightning – Nebenjob als Laubbläser

Aber nur die S1 kann im Neben­job als Laubbläser eingesetzt werden. Wenn der dicke 1200er zum Leben erweckt wird, flattern Hosenbeine, und umherliegende Blätter beginnen zu tanzen. Sicher, gemessen an heutigen Maßstäben sind die Bremsen ziemlich stumpf, das Fahrwerk kein Ausbund an Stabilität und die Federelemente vorne wie hinten längst nicht so schluckfreudig und präzise arbeitend wie moderne Komponenten – doch das tut dem Fahrspaß keinen großen Abbruch. 

Lackierung – Die durch den Kunststofftank dringenden Benzindämpfe sorgen für Blasen unter der Klarlackschicht und schließlich fürs Wegflattern der überlackierten Tankaufkleber

Der nämlich ergibt sich primär aus dem bulligen Antritt des Harley-V2 und dem gierigen Kurvenverhalten des kompakten Hobels. Die Musik spielt ab Standgas mit besten Manieren schon in den tiefsten Tiefen des Drehzahlkellers und reicht bis knapp über 5000 Touren. Wenn’s sein muss, lässt sich der Langhuber auch bis an die 7000 Umdrehungen auswringen, ohne dass dies jedoch noch großartigen Zusatzschub mit sich bringen würde.

Buell S1 Lightning – Ungefiltertes Fahrerlebnis

Die irren Kolbengeschwindigkeiten, die dann anliegen, wird aber kein Mensch mit einem Herz für Schwermetall dem ollen Stoßstangen-­Motor dauerhaft zumuten wollen. Druckvoll auf eine Kurve zuballern, das 210 Kilogramm leichte Raubein in Schräglage stemmen und anschließend auf der satten Drehmomentwoge raussurfen, ist auf diesem Motorrad so erregend wie ein Besuch im Swingerclub. Weil der Kontakt zwischen Fahrbahn und Fahrer so herrlich ungefiltert ist.

Uniplanar-Gummis – Die Gummielemente der schwingungsentkoppelten „Uniplanar“-Motorlagerung werden im Laufe der Jahre spröde und brüchig

Und weil da unten ein gottverdammter Mythos des Motorenbaus zufrieden vor sich hin schnauft und in diesem durchaus sportlichen Umfeld genau jenes Maß an Leistung bereitstellt, das für alle erdenklichen Kurvenfreuden mehr als ausreichend ist. Zumindest, wenn man das Nötigste tut, um ihn bei Laune zu halten. Dafür reicht allerdings schon ein atmungs­aktiver Luftfilter und eine leistungsfreundliche Auspuff-Krümmer-Kombination. Dann stehen nicht ganz 90 PS und deutlich über 100 Nm bereit.

Hier gibt’s noch den herzhaften Schwungmassen-Kick

Damit kann man zwar heute niemanden mehr schocken, aber die Art und Weise, wie die Kraft aus dem Ärmel geschüttelt wird, ist schon sehr speziell. Denn hier gibt’s noch den herzhaften Schwungmassen-Kick, der sich so ­unnachahmlich nach Kraft und Herrlichkeit anfühlt. Im Vergleich dazu gibt sich ein 1200er Sportster-V2 der letzten Generation geradezu erschreckend blutleer.

Amerikanische Landmaschine: Dank Vergaserversorgung ist selbst die Elektrik so erfreulich spartanisch wie das ganze Motorrad

Und erst die wunderbar direkte und überaus sanfte Gasannahme­ des vergaserbefeuerten Aggregats: kein Drive-by-wire, keine digitalen Drosselklappen-Befehle, keine Minicomputer, die erst ein Meer aus Nullen und Einsen interpretieren müssen, die von einem Heer aus Sensoren geliefert werden. Und dennoch gibt sich der stramme Prügel – artgerecht bewegt – stets mit weniger als sechs Litern zufrieden. Es war nicht alles schlecht, damals …

Das Ölpumpenritzel sollte im Auge behalten werden

Das Evolution-Triebwerk ist überaus robust und, wenn es nicht allzu derb hergenommen wird, durchaus für 100.000 problemlose Kilometer gut. Lediglich das Ölpumpenritzel sollte im Auge behalten werden, am besten generell durch ein qualitativ besseres aus dem After­market ersetzen, dann ist motorseitig Ruhe. Vereinzelt kommt es zu Getriebeschäden, weil die Trägerplatte des Primärkettenspanners relativ dünn ist und brechen kann. Die abgebrochenen Teile können dann massive Schäden im Räderwerk anrichten. Auch hier gibt es stabileren Ersatz bei Buell-Spezialisten.

Die Sache mit dem Ölpumpenritzel

Blöd laufen kann es auch, wenn der kleine Faltenbalg der den Kupplungszug schützen soll, verrutscht. Dann kann bei starkem Regen Wasser durch den Zug ins Motorgehäuse laufen, was je nach Menge üble Folgen für das Aggregat haben kann. Hier also regelmäßig auf korrekten Sitz achten. Wer sich eine S1 zugelegt hat, sollte im Übrigen unbedingt einen Harley-Händler aufsuchen. Dieser kann anhand der Fahrgestellnummer herausfinden, ob bei der Maschine alle Rückrufmaßnahmen durchgeführt wurden.

Buell S1 Lightning – Eine Perle des Motorradbaus

Neben zahlreichen Kleinigkeiten gab es auch Elementares wie bruchgefährdete Schwingen und Stoßdämpferaufnahmen. Sollte der Vorbesitzer die Rückrufe verschlafen haben, kostet es unter Umständen Kohle, denn die Company sieht sich nach einem Vierteljahrhundert nicht mehr in jedem Fall in der Verantwortung zur Nachbesserung. Egal, diese Buell ist eine Perle des Motorradbaus. Etwas grobschlächtig zwar, aber erfreulich minimalistisch. Dazu dieser Erdbeben-V2 – grandios!

LUCKY HANDS – Interview mit Norbert Lackinger

Wie kam es dazu, dass du vom Buell-Virus infiziert wurdest?
Nach langen Jahren mit Sportster XR 1000 musste irgendwann etwas Moderneres mit Fünfganggetriebe her. Ich wollte mir damals eigentlich eine sportliche Sportster aufbauen, mit Japaner-Gabel und modifiziertem Fahrwerk, aber dann kam die S1 – wobei ich sie mit ihrem kurzen Heck anfangs eher albern fand. Meine erste Lightning habe ich nicht wegen, sondern trotz der Optik gekauft. Mir war vor allem das sportliche Chassis mit scharfem ­Harley-Motor wichtig.

Bist du gelernter Zweiradmechaniker?
Nein, Maschinenbautechniker. Der Großteil meines Tagesgeschäfts sind Motorenrevisionen und -optimierungen, da passt das ganz gut. Das hat eher mit Maschinenbau als mit Kfz-Schlosserei zu tun.

Norbert Lackinger ist, es mag albern klingen, der Bruce Willis unter den hiesigen Buell-Spezialisten. Auch wenn die Marke selbst verdammt schnell gestorben ist, bleibt ihr Geist dank Hinterbliebenen-­Betreuern wie ihm noch lange erhalten

Du hast das vermutlich größte Buell-Ersatzteillager in Europa. Gibt es Brocken, bei denen es eng wird?
Für die Luftgekühlten hab ich die meisten Teile auf Lager, auch solche, die bei Harley nicht mehr lieferbar sind. Einige­ Plastikteile sind nicht mehr zu haben und bei manchen Kleinteilen wie den Schrauben der Sitzbankbefestigung wird’s langsam eng. Ärgerlich ist, dass die Trapdoor-Platte, also das Teil, in dem die Getriebewellen stecken, bei Harley nicht mehr lieferbar ist. Weder für Sportster noch für Rohrrahmen-Buells mit Kassettengetriebe.

Und was mache ich dann, wenn das Teil über den Jordan geht?
Das passiert glücklicherweise nur selten. Ich habe schon selber welche gefräst, aber um eine Serie aufzulegen, ist zu wenig Nachfrage. Die Zeichnungen liegen aber in der Schublade. Außerdem gibt es auch noch zwei Aftermarket-Hersteller in den USA, die das Teil anbieten.

»Bei der Buell S1 war noch viel Trial-and-Error dabei«

Würdest du behaupten, die S1 ist ein problem­loses Motorrad?
Sagen wir mal so: Erik hat damals etwas Schönes gebastelt, und als es fast fertig war, hat er anscheinend die Lust daran verloren. Das zeigt sich an vielen Details, die einfach nicht sauber fertig­konstruiert wurden. Das ist aber alles nicht ­dramatisch und durchaus in den Griff zu kriegen.

Wie kommst du auf die Idee, dass er die Lust verloren hat?
Bei der Konstruktion der S1 war Erik ja noch mehr oder weniger Privatier mit entsprechend ­begrenzten Mitteln. Er nahm sich einen Sportster-­Motor, strickte einen enganliegenden Rahmen drumherum und setzte das Bike aus allen möglichen Komponenten zusammen. Da war noch viel Trial-and-Error dabei, das hatte nicht viel mit Großserienfertigung zu tun. Als dann Harley mit 99 Prozent bei Buell einstieg, war er gedanklich längst bei der X1 und hatte vermutlich schon die XB-Modelle vor Augen. Er hatte plötzlich ganz andere Möglichkeiten, um die Bikes auf Industrie­niveau zur Serienreife zu entwickeln, was man den späteren Maschinen auch anmerkt. S1-Besitzer müssen eben noch selbst ran. Die Schwachstellen sind bekannt und bestens dokumentiert. Für Interessierte empfiehlt sich ein Blick ins BORG-Forum, dort finden sich Infos zu so ziemlich allem rund um die Rohrrahmenmodelle. (www.rohrrahmen.de)

»Die S1 ist ein dankbares Schraubermoped«

Dann spricht doch einiges dafür, sich gleich eine X1 oder XB zuzulegen?
Nicht unbedingt. Klar sind die Nachfolger in vielen Details ausgefeilter. Aber man merkt eben auch, dass die Konstruktion deutlich in Richtung Fertigungsoptimierung ging und weniger hinsichtlich Wartungsfreundlichkeit optimiert ­wurde. Die S1 ist ein dankbares Schraubermoped, da kommt man überall ran. Das sieht bei einer XB schon etwas anders aus …

Hast du noch einen Tipp für angehende Buellster?
Besser nicht ständig über 6000 Touren drehen und das Ölpumpenritzel im Auge behalten.

 

 

 

Carsten Heil, hat die typische Zweiradkarriere der 80er-Jahre-Jugend durchgemacht: Kreidler Flory (5,3 PS), 80er-Yamaha DT und mit achtzehn dann die erste 250er Honda. Nach unzähligen Japanern über Moto Guzzi ist er dann schließlich bei Rohrrahmen-Buell gelandet. Seit 1992 mit Fotoapparat und Schreibgerät in Sachen Kradkultur unterwegs.