Indians Scout Sixty ist eigentlich ein klassischer, sanfter Cruiser. Doch mit gezielten Veränderungen kann sie auch deutlich wilder aussehen.

Harley-Davidson ist schon lange nicht mehr der Platzhirsch und alleiniger Vertreter amerikanischer Motorradkultur, wenn man inzwischen untergegangene Marken mal außen vor lässt. Denn mit Tradition alleine ist mittlerweile auch kein Kunde mehr zu gewinnen. Seit der Übernahme der altehrwürdigen Marke Indian durch den Polaris-Konzern weht wieder frischer Wind in den Markt für Cruiser mit V2-Motoren.

Indian Motorcycles –  Comeback um Comeback

Dabei sah die jüngere Vergangenheit für Indian Motorcycles nicht gerade rosig aus. Irgendwie hatte man sich immer wieder durch neue Eigentümer gerade so über die Runden gerettet, konnte aber dennoch an die glorreichen Zeiten des frühen 20. Jahrhunderts nicht mal ansatzweise anknüpfen. Konzeptlos, ohne Linie und befeuert von S&S-Klonen, die mehr Schein als Sein waren, schien das Ende der einst strahlenden Marke gekommen.

Und weil er gerade in Fahrt war, hat Stephan (links im Bild, rechts unser Layouter Ralf) gleich zwei Scout Sixty im Kundenauftrag umgebaut

Wurde nach dem Relaunch der Fokus auf die in den USA stark begehrten, schweren Cruiser gelegt, kam mit der »Scout« erstmals wieder ein Modell auf den Markt, das echte Performance liefern konnte. Mit der kleinen Schwester »Scout Sixty« hat Indian ein klares Statement in Richtung Milwaukee abgegeben und wildert fortan ungeniert im Revier von Harley-Davidsons Dauerbrenner Sportster herum.

Indian Scout Sixty – Mehr Dampf als die Sportster

Hubraumtechnisch hat sie sich mit ihrem Ein-Liter-Motor genau zwischen der Sportster Iron 883 und der Forty-Eight platziert. Ihre Stärke ist vor allem der leistungsfähigere Motor, der nicht nur höher drehen kann, sondern mit 78 PS auch ordentlich Dampf hat.

Weniger Bügel und mehr Auspuff, das wär‘s gewesen. Doch erlaubt ist, was gefällt, und das entscheidet am Ende immer der Besitzer

Vielleicht war genau das bei dem Kunden, der in der Werkstatt von Simon‘s Custom im hessischen Viernheim vorbeischaute, der ausschlaggebende Kaufgrund. Auf jeden Fall aber wollte er unbedingt seine Indian Scout Sixty individualisiert haben. Sie sollte radikaler werden, wilder und vor allem weniger von einem Cruiser haben. Kein Problem für Stephan, wie der Customizer eigentlich heißt.

Indian Scout Sixty – Völlig neuer Look

Gezielte Änderungen an Heck und Frontend, andere Reifen, eine neue Lackierung und der schöne Kontrast aus schwarzen Anbauteilen gepaart mit dem weißen Lack, lassen die Scout Sixty in einem völlig neuen Look erstrahlen. Nachdem wir eine Weile fachsimpelnd unsere Kreise um das Motorrad gedreht haben, fordere ich von Stephan den Schlüssel ein. Customizing hin oder her, aber fährt die Kiste auch so wie sie aussieht oder wird es eine Bestätigung der vielen Klischees mit denen Custombikes noch immer zu kämpfen haben?

Ich lasse mich in den Sattel fallen, strecke die Haxen aus, lege die Hände auf den Lenker. Ergonomisch fühlt sich das gut an. Schlüssel rein, starten und gleich mal die erste Enttäuschung schlucken: der Klang ist ziemlich dünn. Der V2 röchelt wie abgeschnürt vor sich hin. Aber hey, so wollen es die Vorschriften, versuche ich mir das schönzureden. Egal, so lange die Sixty ihre Qualitäten auf der Straße zeigt, soll es mir recht sein.

»Beim Hochschalten bleibe ich an den Bügeln hängen«

Stephan brettert auf der zweiten Scout, die fast genauso aufgebaut wurde, voraus, ich hinterher. Der erste Gang rastet satt ein, das geht butterweich. Doch beim Hochschalten bleibe ich an den Sturz- oder Schutzbügeln, oder wie immer sich das nennen mag hängen. Unpraktisch!

Die Rahmenunterzüge kaschieren geschickt den Kühler

Inzwischen ist Stephan aus meinem Blickfeld verschwunden und ich muss der Scout die Sporen geben. Hochdrehen kann sie ja. Bei viertausend Umdrehungen zieht das Teil noch einmal richtig an. Die siebentausend sind kein Problem. Freunde, da geht die Post ab.

Selbst die grobstolligen Reifen trüben das Vergnügen nicht

Eine Sportster macht da keinen Stich, dafür sind die Stoßstangenmotoren einfach zu träge. Mit ihren 78 PS geht die Indian verdammt flott, da kommt richtig Laune auf. Die Einscheibenbremse mag zwar etwas bescheiden aussehen, hat die Sixty aber richtig gut im Griff. Selbst die grobstolligen Bates-Reifen trüben das Vergnügen nicht, auch wenn sie zu Beginn etwas gewöhnungsbdürftig sind. 

Der Heckumbau ist alles andere als einfach und nicht mal eben im Vorbeigehen erledigt. Dass da viel Zeit und Aufwand drinstecken, zeigt sich erst bei genauerem Hinsehen

Zum Glück hat Stephan das Fahrwerk nicht zu hart abgestimmt, was das Bike durchaus vertragen hätte. Aber so bleibt wenigsten ein Rest an Komfort, damit am Ende des Tages der verlängerte Rücken nicht meckert und einem die Laune verleidet.

Info |  simonscustom.de

 

Christian Heim