Eine Hommage an die Vintage-Racer, gespickt mit technischen Leckereien: Die Speedster von Ehinger Kraftrad mit Harley-Davidson Knucklehead ist ein ernsthaftes Ausnahmebike. Aber ist das überhaupt ein Knuckle?

Es passiert nicht oft. Aber wenn es dann so weit ist, dann knallt es gewaltig. Nur etwa alle zwei Jahre haut Uwe Ehinger von Ehinger Kraftrad einen amtlichen Oberkracher raus. Ein Motorrad, das von vorne bis hinten anders aussieht als andere und damit das Aufsehen der gesamten Szene auf sich zieht. Die »Speedster« wurde einerseits von schlanken Grasbahnmaschinen inspiriert, auf der anderen Seite ist sie als eine Hommage an die Racing-Bikes der Zwanziger- bis Vierzigerjahre zu verstehen.

Das Muster der Hinterradabdeckung stammt aus der Hypnosetherapie

Ganz abgesehen davon ist das schlanke Bike der pure Wahnsinn. Während ich noch rätselnd über so manches Detail staune, erklärt Uwe den theoretischen Unterbau des Projekts: »Die Speedster ist das zweite Bike einer Trilogie, die mit dem Snowracer begann, einem Hillclimber, nun ein vom Speedway inspiriertes Bike hervorgebracht hat und mit einem Salzseerenner enden wird.«

Ist das überhaupt ein Harley-Davidson Knucklehead

Klingt interessant. Noch viel interessanter aber scheint mir die Konstruktion des V-Zweizylinder-Motors zu sein. Ein traditionelles 45°-Triebwerk, das zunächst aussieht wie ein Harley-Davidson Knucklehead, bei näherer Betrachtung aber völlig anders funktioniert. »Bei manchem Konzeptbike scheint der Erbauer erst am Ende darüber nachzudenken, dass das Bike ja auch irgendeinen Motor braucht. Ich finde, ein extremes Custombike muss auch einen ausgefallenen Motor haben«, stellt Uwe klar, »für mich besteht ein Motorrad vor allem aus Motor.«

Eine geschmälerte Springergabel hält ein 23-Zoll Vorderrad

Und dieser hier, der hat es in sich. Ehinger hat am Rechner eigene Knucklehead-Zylinderköpfe entworfen, die sich mit dem 1937er Viernocken-Rumpfmotor einer Seitenventil-Harley-Davidson-U kombinieren lassen. Als weitere Besonderheit verfügen die ohv-Köpfe über einen offen laufenden Ventiltrieb.

Der 1200er Harley-Davidson Knucklehead erinnert an die 750er Magnum-Motoren

Den beträchtlichen Aufwand der Adaption belegen die aus dem vollen Aluminium gefrästen Rocker. Ein extrem schmaler 1“-Primärbelt leitet die Kraft zur Trockenkupplung am Harley-Vierganggetriebe weiter. Lohn der Mühen ist ein einzigartiger V2 mit 1200 ccm, der »an die 750er Magnum- oder die Koslow-ohv-Motoren erinnert, und der viele neue Ideen in sich vereint«, so der Hamburger.

Die Gabelbrücke: auch eines der vielen zeitlosen Teile, selbst erdacht und aus dem Vollen gefräßt

Auch die Konzeption der übrigen Details hat Uwe zunächst mit CAD-Programmen entwickelt und dann in Kooperation mit vielen guten Leuten umgesetzt. So hat Udo Sacher von U.S. Custombikes weite Teile des Aufbaus übernommen, Bernhard Naumann – der Blechmann – aus Österreich das Bodywork umgesetzt oder Danny Schramm von Schrammwerk die Lackierung ausgeführt. »Wir sollten nicht nur immer sehnsüchtig in die USA schauen, wir können in Deutschland auch verdammt viel«, lobt Uwe seine Kooperationspartner.

Single-Downtube statt zweier Unterzüge

Doch was genau wurde bei der Speedster eigentlich gemacht? Warum wirkt sie so ungewöhnlich, wieso ist der Rahmen so schmal? »Wir haben den Harley-Starrrahmen mit ursprünglich zwei Unterzügen auf Single-Downtube geändert und außerdem hinten genarrowed«, erklärt Uwe den Grund der schlanken Erscheinung. Auch die Springergabel wurde schmaler gemacht, selbst gezeichnete Dogbones und obere Gabelbrücke aus dem Vollen gefräst.

Der Doppelschleifenrahmen wurde auf Single-Downtube umgebaut

Heckfender und modular aufgesetzter Benzintank bestehen aus Aluminium. »Auch ein Teil des Rahmens dient als Tank«, zerstreut Uwe alle Bedenken wegen eines zu geringen Tankinhaltes. Auf einen separaten Öltank kann das Bike indes verzichten, denn der glimmernde Banana-Seat bunkert den Schmierstoff in seinem Inneren. Stummellenker, Speedway-Gasgriff und kantige Startnummerntafel, auf der das Baujahr des Motors vermerkt ist – nichts an diesem Motorrad ist gewöhnlich.

Die Bereifung kommt direkt von der Sandbahn

Auch nicht die Bereifung mit vorne 23 Zoll und hinten 22 Zoll, die direkt von der Sandbahn kommt. Verlangsamt wird die Speedster vorne über doppelte Beringer-Inboard-Bremsen mit selbst konstruierter Parallelogrammabstützung. Auch das hintere Rad verzögert per Beringer-Inboard, fällt aber vor allem durch die psychedelischen Radabdeckungen ins Auge. Dazu der Ehinger-Kraftrad-Chef: »Früher haben die Speedway-Fahrer ihre Räder mit Spiralen und anderen Eyecatchern verziert, bis dann die Sponsorenaufdrucke kamen. Wir haben ein Muster aus der Hypnosetherapie verwendet. Also besser nicht zu lange draufgucken …«

Ehinger hat am Rechner eigene Knucklehead-Zylinderköpfe entworfen, die sich mit dem 1937er Viernocken-Rumpfmotor einer Seitenventil-Harley-U kombinieren lassen

Mit diesem Ausnahmebike wurde Uwe übrigens als erster deutscher Customizer zum »Invited Builder« der Born Free in Kalifornien eingeladen. Die Veranstalter Mike Davis and Grant Peterson hatten ihn nachträglich um die Teilnahme gebeten, nachdem sie von der Speedster erfahren hatten. Denn oft passiert es nicht, dass – wo auch immer – ein solch abgefahrenes Motorrad entsteht.

Info | ehingerkraftrad.com

 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.