Volle Kraft voraus – mit Luft! Revatus Lokomotiven-Bike zählt zu den bizarrsten Kreationen der Custombike-Szene. Eine Dampfmaschine wie aus dem Bilderbuch …

Ihr dürft euch jetzt ruhig am Kopf kratzen. Oder hat irgendwer schon einmal so etwas wie die Revatu Black Pearl gesehen? Und lasst uns jetzt nicht über Sinn und Unsinn solcher Auswüchse streiten, denn das Locomotive Bike ist defintiv eine der seltsamsten Konstruktionen, die wir je vorgestellt haben. René van Tuil, Mastermind von Revatu Customs im niederländischen Eck en Wiel, war schon immer ein Grenzgänger. Er hat bereits einen »Pea Shooter« mit Stationäraggregat gebaut oder ein übergroßes Dieselmotorrad mit Bootsmotor. Doch das hier, das stellt alles in den Schatten. »Je stärker behauptet wird, dass gewisse Dinge nicht funktionieren, desto mehr will ich das Gegenteil beweisen«, funkeln Renés Augen. The sky is the limit? Dann ist René ein Astronaut.

Renés Dampfmaschine wird mit Druckluft betrieben

Auf der Suche nach Superlativen stieß der Holländer auf Zeichnungen des Steampunk-Künstlers Colby Higgins. Dieser hatte ein dampfbetriebenes Motorrad skizziert: »So etwas wollte ich zum Laufen bringen.« René setzte sich mit Dampfantrieben auseinander und kam recht schnell zum Ergebnis, dass eine Hochdruckdampfmaschine nicht ohne Durchlaufen eines aufwendigen Genehmigungsverfahren betrieben werden darf. Doch René fand einen Ausweg. Er wollte sein Lokomotiven-Zweirad mit Druckluft betreiben. So startete der stets lachende Tüftler sein Projekt mit der Anschaffung eines 98-ccm-Stationärmotors für einen Luftkompressor. Auf einem Autoschrottplatz stolperte er wenig später über einen Boiler mit 60 Litern Fassungsvermögen, der 30 bar aushält. »Das erste Problem war also gelöst«, grinst René. 

Außen verlegte Kupferleitungen, jede Menge Manometer und Ventile: Sämtliche Details sehen nicht nur nach preußischer P8-Dampflok aus, sie erfüllen auch ihren Zweck. Nur René weiß das seltsame Gerät zu bedienen

Der Boiler wurde in den Motorradrahmen integriert, der aus stabilen Flanschen für Steuerkopf und Hinterradaufhängung sowie zwei Mercedes-Felgen besteht. Außerdem fasst er den auf vibrationshemmenden Gummipuffern gelagerten Motor. Als kleiner Benzintank für den Motor dient ein Gefäß unmittelbar neben dem Druckluftspeicher. »Wegen des geplanten Exenterantriebs – wie bei einer Dampflok – musste ich alles äußerst stabil konstruieren«, zeigt René auf die Eigenbau-Schwinggabel mit Harley-Sportster-Stoßdämpfern. Harley-Davidson-Gussräder mit Dunlop-Reifen stellen den Kontakt zur Fahrbahn her, hinten übrigens ohne Bremse.

Von der Außenbandbremse darf man keine Wunder erwarten

Aus Teilen eines Feuerlöschers und einer Ledermanschette hat er die Außenband-Vorderradbremse gefertigt. »Erwartet keine Wunder«, zeigt Réne auf die abenteuerliche Konstruktion. Für den geplanten Exenterantrieb nahm der Holländer Kontakt mit den Pneumatik-spezialisten BUS auf. Die waren von der Black Pearl spontan begeistert und sponserten das Projekt mit Ventilblöcken, die das Exenterpleuel zum Hinterrad per Druckluft vor und zurückbewegen. Ohne diese Profiteile ist bei Höchstgeschwindigkeit auf 10 km/h Schluss – mit Rückenwind. »Aber das wird mit den BUS-Teilen besser«, verspricht der Erfinder. 

Dampflok auf zwei Rädern? Von wegen, angetrieben wird Revatus skurriles Gefährt mit Druckluft

Auch viele Teile, die nichts mit dem Antrieb zu tun haben, sind ungewöhnlich: So war der Hauptständer vormals ein Wagenheber, der per Kurbelrad ausgefahren werden kann. Der schmaler geschweißte Sattel stammt von einem alten Traktor, die alte chinesische Öllampe ist ein Geschenk von einem Kunden. Die kupferne Dampfpfeife hat René selbst gebaut – nach Vorbild der geschnitzten Holunderpfeifen aus seiner Kindheit. Und die glühenden Kohlen sind Teelichte, sie dienen einzig der Illusion. Was für ein Wahnsinn. Und was, bitte, soll der verrückte Holländer als Nächstes bauen? Wie will er dieses Heavy-Metal-Gerät jemals toppen? René hebt den Zeigefinger: »Vielleicht hat ja noch irgendjemand einen Plutonium-Brennstab rumliegen …«

Info |  www.revatu.nl

Floris Velthuis