So langsam wird es eng für Verbrennungsmotoren. Die Geschwindigkeit, mit der der Umstieg auf die Elektromobilität vonstatten geht, ist erstaunlich. BMW Motorrad hat vor ein paar Jahren mit der Vision Next 100 schonmal weit in die Zukunft geschaut …

Wie die Zukunft des Motorrads aussehen wird, darüber kann nur spekuliertwerden. Dennoch wagt BMW Motorrad ein Blick voraus und zeigt, was uns in etwa dreißig Jahren erwarten könnte. Dreißig Jahre sind verdammt weit weg und für die meisten von uns kaum zu greifen. In menschlichen Maßstäben ist das ein zu großer Zeitraum, um sich in unserer schnelllebigen Zeit auch nur annähernd vorstellen zu können, was im Jahr 2047 aus Mensch und Maschine geworden ist. Dennoch hat sich das Team um Edgar Heinrich, den »Leiter Design BMW Motorrad«, ein paar Gedankenspielen hingegeben und versucht, mit der »Vision Next 100« ein Motorrad aus der Zukunft zu entwerfen. Zugegeben, ein gewagter Entwurf, der auf den ersten Blick ein wenig an das Bike aus Disneys »Tron Legacy« erinnert. 

BMW Motorrad – Mit jeder neuen Generation kommen neue Ideen

Rein optisch mag das, gemessen an unseren heutigen Maßstäben und Gewohnheiten, noch etwas befremdlich wirken, doch mit jeder neuen Generation kommen nicht nur neue Ideen, man gewöhnt sich auch an das, was heute noch fremd und morgen schon veraltet erscheint. Immerhin, auch die »Vision Next 100« verfügt offenbar noch über einen Rahmen. Dieser ist an den altbekannten Dreiecksrahmen angelehnt, doch von einer klassischen Stahlrohrkonstruktion ist nichts mehr zu sehen.

Am Anfang steht eine Idee oder Vision, die langsam vom Papier über den Computer ihre Umsetzung in ein 1:1-Modell findet

BMW spricht von einem »Flexframe«, einem anpassungsfähigen Rahmen, der alleine durch seine Biegsamkeit Lenkmanöver erlauben soll, denn einen Lenkkopf sucht man vergeblich. Auch auf die Rahmenunterzüge wurde verzichtet. Der neue Antrieb ist offenbar mittragend, erinnert aber gleichzeitig noch ein wenig an den Boxermotor. Dass hier nicht mehr über einen Verbrennungsmotor gesprochen wird, ist wohl selbstverständlich, angesichts der zu erwartenden Knappheit fossiler Brennstoffressourcen.

Vom E-Antrieb bis hin zur Brennstoffzelle, ist alles möglich

Auf was die Ingenieure in Zukunft setzen werden, bleibt allerdings offen. Vom E-Antrieb bis hin zur Brennstoffzelle, oder etwas völlig Neuem, ist alles möglich. Dafür soll sich der aluminiumglänzende Motor dynamisch an die sich während der Fahrt ändernde Aerodynamik anpassen, um so weniger Luftwiderstand zu bieten. 

Der »Visor« ist eine Datenbrille, die dem Fahrer alle relevanten Informationen einblenden wird

Ein echtes Novum wären die Reifen, kämen sie denn tatsächlich so zum Einsatz. Auch sie sollen, wie so vieles am Motorrad, flexibel sein und sich ändernden Untergründen und Fahrsituationen automatisch anpassen. In der Automobilindustrie werden solche Konzepte offenbar schon länger angedacht, so dass die Technologie offenbar auch auf die Zweiräder übertragbar wäre. Für den Motorradfahrer hätte das durchaus Vorteile: Ein Slick zum Brettern und Heizen, gleichzeitig aber auch ein Regenreifen mit optimaler Haftung, wenn es mal nass wird. 

»Self Balancing« – das Motorrad balanciert sich selbst aus

Natürlich wäre das Future-Bike komplett vernetzt und mit allen möglichen Fahrassistenzsystemen ausgestattet, möglicherweise auch mit welchen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Eines davon nennt sich »Self Balancing«, kurz gesagt, das Motorrad balanciert sich immer wieder selbst aus, so dass Stürze nahezu unwahrscheinlich werden. Selbst im Stand sollen peinliche Umfaller in Zukunft der Vergangenheit angehören.

Bestimmte Teile wie Sitz, obere Rahmenabdeckung oder Fender werden aus Carbon gefertigt

Über die heutigen Standards wie ABS, Traktionskontrolle und Fahrmodi brauchen wir gar nicht mehr zu reden, denn den Visionären aus München schwebt ein »Cloud«-verbundenes Motorrad vor, das seinem Fahrer so viel Entscheidungen wie möglich abnimmt. Obwohl man hier eine totale Entmündigung zukünftiger Biker annehmen könnte, soll der Fahrer die Kontrolle über das Geschehen behalten. Nur soll er eben mit Hilfe der vorausschauenden Systeme sich voll und ganz auf das Fahrerlebnis an sich konzentrieren, es genießen und erst bei Bedarf einschreiten.

Verlockendes Zukunftsszenario: Das Fahren ohne Helm

Das wiederum würde das verlockendste aller Zukunftsszenarien ermöglichen, nach dem wir uns alle so sehr sehnen: dem Fahren ohne Helm. Es wäre eben doch nicht alles schlecht am vernetzten, durch Systeme kontrollierten, vorausschauenden Fahren. Man könnte sich einfach aufs Motorrad setzen und voll und ganz der Dynamik und seinen Emotionen hingeben: Das ist der wahre Grund, warum wir alle überhaupt Motorrad fahren, denn einen praktischen Nutzen hat es eher weniger. Die Möglichkeiten solch neuer Technologien sind faszinierend.

Ein neuer Fahreranzug soll das Freiheitsgefühl verstärken

Auf der anderen Seite macht es aber auch Angst, erzeugt in uns ein Unwohlsein, weil wir immer weniger davon verstehen. Doch war das nicht schon immer so? Immer dann, wenn bahnbrechende Erfindungen die Menschheit und vor allem die gesellschaftliche Entwicklung anschoben, wurden sie auch gleichzeitig als Teufelszeug verflucht, da sie oft den Verstand überforderten.

BMW Motorrad – Es ist nur eine Vision, also ein »Kann«-Szenario

Visionäre haben es nicht leicht. Sie kämpfen mit tiefster Überzeugung für den Fortschritt, sind in ihren Gedanken den meisten von uns um Jahre voraus. Es gab auch mal Zeiten, da landeten sie schnell auf dem Scheiterhaufen. So schlimm wird es für die BMW-Ingenieure und Designer nun nicht kommen, aber auch sie haben mit Widerständen zu kämpfen. Denn eines ist sicher: Die »Vision Next 100« hat polarisiert, die Gemüter erhitzt aber auch zu Diskussionen angeregt. Doch darf man dabei eines nicht vergessen: Es ist eine Vision, also ein »Kann«-Szenario. Was wirklich sein wird, wer weiß das schon. 

 

Christian Heim