BMW-bekloppt, so darf man Eberhard Haenicke getrost bezeichnen. Immerhin hielt er der Marke schon die Treue, als man sich noch dafür auslachen lassen musste. Aber am Ende steht da trotzdem ein Motorradleben für die Boxer – oder ein paar Boxer wie diese BMW R 60/6 fürs Motorradleben, sucht es euch aus.

Es konnte fast gar nicht anders kommen, als dass Eberhard BMW fahren würde. Vater und Onkel waren den Zweiventilern verfallen, denen Eberhard schon in seiner Kindheit damit nicht ausweichen konnte. Zum Abitur kauft er sich eine R 75/5, ein Opa-Moped damals, völlig uncool. »Und jetzt ist dieser Brocken, für den ich mich auslachen lassen musste, plötzlich Kult. Eigentlich total bekloppt«, der Münsteraner kann es immer noch nicht so richtig fassen. Ein bisschen umgebaut hat er die alte Karre, so wie er es eben geil findet. Und so fährt er dieses Bike bis heute, seit mehr als 40 Jahren.

Neue Inspiration durch die Achtelmeile-Sprints am Glemseck

Irgendwann ereilt den Besitzer einer kleinen Werbeagentur ein gewisser Langeweileschub, wie er es ausdrückt. Einer in Sachen Motorrad. Eberhard sucht neue Inspiration, er findet sie am Glemseck, auf dem größten Cafe-Racer-Event Europas. »Ich fuhr da hin, kannte kaum einen«, erinnert er sich. Aber er wird elektrifiziert, als er den Achtelmeile-Sprints zuschaut. Die Rückfahrt wird zum Brainstorming mit sich selbst, und der Wunsch bei den Sprintrennen an der alten Solitude-Rennstrecke mitzufahren, reift.

Das LED-Rücklicht ist in ein altes Kühlelement, vermutlich von einer Triumph, eingelassen

Zurück in Münster beginnt die Arbeit, eine 1000er baut er um, die Optik angelehnt am 50er-Jahre-Production-Racer RS 54. Mit ihr fährt er sein erstes Rennen, kurz übersetzt, mäßig erfolgreich, aber vollends angefixt. Eberhard will noch ein Motorrad haben, das Budget ist allerdings schmal, selbstbauen daher Pflicht. Auf der Kustom Kulture in Herten entdeckt er einen Tank, der ihm lange nicht aus dem Kopf gehen wird. Es ist das Spritgefäß einer Triumph X75 Hurricane, einem seltenen Factory-Bike, designt von Verkleidungsspezialist Craig Vetter und gerade mal ein Jahr lang im Programm von Triumph.

BMW R 60/6 mit Triumph Hurricane-Tank

Der Verkäufer am Stand wusste, was er da besaß, der Preis für den Drei-Gallonen-Tank war schlicht zu hoch für den Privatschrauber. Schwierig aber, wenn das Ding sich in deinem Kopf festgesetzt hat. Irgendwann fährt Eberhard den Weg in den Ruhrpott zu Teilehändler Peter Mathea. Der Tank ist noch da, die Verhandlungen beginnen. Im Tausch mit einem anderen Tank und einer Draufzahlung hält Eberhard am Ende das begehrte Spritgefäß in den Händen. Dass seine gewählte Racer-Basis, die BMW R 60/6, um diesen Tank gebaut werden würde, war da eh schon beschlossene Sache.

Passt perfekt zur straighten Linie: Norton-Peaspotter-Replika

Insgesamt wird die Bauzeit am Ende fast drei Jahre betragen, Eberhard ist Privatmann, kein professioneller Schrauber. Und ein Leben neben Motorrädern gibt es für ihn überdies auch noch. Der Heckrahmen der BMW wird umgebaut, die Federbeine so schräger gestellt. Parallel kürzt er die Gabel um gute sechs Zentimeter. Insgesamt wird die Fuhre damit tiefer, ihren Namen »Flacheisen« hat sie damit weg. Der Motor wird auf 800 Kubik getrimmt, im originalen Luftfiltergehäuse versteckt er Batterie und Elektrik. Der Nachbau eines Norton-Auspuffs ist adäquat, nicht nur für die Rennstrecke.

BMW R 60/6 Racer – Dragbar statt Stummel

Die Lampe kommt aus dem Zubehör, das LED-Rücklicht ist eingelassen in ein altes Kühlelement. Ein Dragbar-Lenker gibt eine bessere Sitzposition als racertypische Stummel. Die Verkleidung entsteht aus altem Sattelleder und Plexiglas. Sitzbank und Höcker sind eine Einzelanfertigung. Der Tank, Ausgangspunkt und Inspiration für die Optik des gesamten Motorrades, darf beinahe so bleiben, wie er ist. Lediglich eine Schicht Klarlack konserviert die Geschichten, die er erzählen könnte. Neue vom Sprint am Glemseck sind inzwischen dazugekommen.

»Meine BMWs sind nicht bequem oder praktisch, längere Touren kaum möglich. Aber selbst wenn mich ein modernes Motorrad infizieren würde, auf die alten Karren würde ich niemals verzichten«

Mittlerweile ist Eberhard in Münster auch nicht mehr allein auf weiter Flur. Eine Gruppe von ein paar Männern hat sich gefunden, sie nennen sich »Kradwahn«, schrauben und fahren zusammen. Eberhards Frau fährt ebenfalls BMW, und der Sohn, der szenebekannte Filmer Roman Haenicke, ebenfalls. »Es ist ein Familiending«, sagt Eberhard nicht ohne Stolz. Ob er mit modernen BMWs nichts anfangen könne, wollen wir wissen. »Ein sensibles Thema«, überlegt er.

»Auf die alten Karren würde ich niemals verzichten wollen«

»Meine alten Zweiventiler sind weder bequem noch praktisch. Touren und Trips gehen maximal noch mit der alten R 75/5. Damit komm ich zumindest mal ins Sauerland und finde es eigentlich auch geil. Aber ich habe Angst, mich zu infizieren, wenn ich mal auf so einer neuen Karre fahre. Und dann geht das wieder alles von vorn los. Also irgendwie ja, ich könnte mit den modernen Boxern vermutlich etwas anfangen. Aber auf die alten Karren würde ich niemals verzichten wollen.«

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.