Einzylinder sind in München nicht erst seit der F 650 von 1993 Thema, bis Mitte der Sechziger baute man stoische Gebrauchssingles mit Kardanantrieb. Dirk Ramackers’ »Westerwaldratte« auf Basis einer BMW R 25 hat überlebt, ihre simple und funktionale Technik überzeugt noch heute.

Anno 1993 sorgte BMWs Einzylinder-Funduro F 650 für Furore und Stückzahlen, heute will München mit der in Indien gefertigten G 310 R neue Märkte erobern. Da vergisst man fast, dass BMW auch vor rund 70 Jahren schon Einzylinder erfolgreich vermarktete – strunzlangwei­lige obendrein. Umgab die obligaten Boxer noch ein berechtigter Odem von Sportlichkeit, so waren die Eintöpfe weit davon entfernt, irgendwie mit Renn­legende Schorsch Meier oder Gespannweltmeistern in Verbindung gebracht zu werden.

BMW R 25 im Gegenwert von 1350 Arbeitsstunden

Nicht mal für Schauer­geschichten von schier unbesiegbaren Kriegselefanten taugten sie. Dabei muss man sich klar machen, dass so ein Motorrad Anfang der fünfziger Jahre mit exakt 1.985 Mark den Gegenwert von etwa 1350 Arbeitsstunden darstellte, denn ein Arbeiter verdiente 1951 rund 1,50 Mark die Stunde. Dennoch griffen ab 1948 weit über 100 000 Käufer zu den Nachfolgemo­dellen der Vorkriegs-R 23, wovon ab 1953 die R 25/3 mit Alufelgen, Vollnabenbremsen und hydraulischer Telegabel die erfolgreichste Version war.

Rund 100 000 Kilometer hat dieser Einzylinder­motor schon durchstampft – mit überschaubarer Technik zwar, aber auch enormer Zuverlässigkeit

Dabei hatte sie gerade mal ein PS mehr als die zwölf PS starke Vorgängerin R 25/2. Aber das ist eben der Witz: Während die meisten heißen Hirsche längst erlegt sind und bestenfalls noch ihre Eingeweide in irgendwelchen düsteren Vorratskellern rumhängen, tuffern die genügsamen Biedermänner noch immer durch die Landschaft. Meist von ebenso biederen Schraubern in klinischer Reinheit restauriert und im Topzustand mittlerweile jenseits von 5.000 Euro gehandelt.

Unter dem struppigen Fell steckt ein kerngesundes Herz

So viel würde dieses Exemplar kaum bringen – wenn es denn zu ­verkaufen wäre. Die nach etwa 100 000 Kilometern und unzähligen Aben­teuern in Ehren ermattete R 25/2 lässt der „Bitte-nicht-berühren“-Fraktion sicher die Haare zu Berge stehen, ­andererseits dürften sich selbst verbissene Gralshüter weiß-blauer Ingenieursarbeit über den ­unbeeindruckt bollernden Eintopf freuen. Denn unter dem struppigen Fell steckt ein kerngesundes Herz. Sogar ein recht kräftiges, ist doch das Triebwerk beim Frankfurter Spezialisten Uli Seiwert überarbeitet und leistungsgesteigert worden.

Und so sieht die Westerwaldratte in ihrer vorläufig letzten Evolutionsstufe aus: ein schickes Scramblerchen nach dem Vorbild von Max Klankermeiers Wettbewerbs-BMW

Gut fünfzehn Pferde traben jetzt an, wenn das Kabel am Bing-Vergaser gerissen wird. Die ermöglichen immerhin eine fühlbare Beschleu­nigung und dauerhaftes Mitschwimmen im modernen Land­straßenverkehr. Da die heutigen Straßen allemal besser sind als die gepflasterten Buckelpisten der angeblich guten alten Zeit, kommt man mit der Geradwegfederung und der dürren Gabel durchaus zurecht. Zumal der Federsattel komfortabler und ergo­nomisch günstiger ist als so manches Designermöbel, das einem heute als Motorradfahrer untergeschoben wird.

Die BMW R 25 fühlt sich auf urigen Landstraßen am wohlsten

Nur mit dem Bremsen muss man sich ebenso in Bescheidenheit üben wie mit dem Beschleu­nigen, aber damals waren halt rote­ Ampeln und nerviger Stop-and-go-Verkehr die Ausnahme. Konstantes Tempo auf urigen Landstraßen und flüssige Kurvenkombinationen sind dagegen ein entspannendes Vergnügen, das man gestressten Managern durchaus empfehlen kann. So von wegen: Entdeckung der Langsamkeit und Entschleunigung des Alltags.

Sie war Vorbild für den Umbau der Westerwaldratte zum Scrambler: Max Klankermeiers Wettbewerbs-R 25. Von 1923 bis 1973 war der Motorsportler als Ingenieur und Maschinenbauer bei BMW beschäftigt. Von Ende der Vierziger bis 1950 war er vor allem im Gespannsport erfolgreich

Philosophische Betrachtungen lassen sich auch über die Produktgestaltung und innere Qualität anstellen: Sicher können heutige Fahrzeuge auf den ersten Blick definitiv alles besser, Fahrverhalten, Leistung, und man kann sie zigtausend Kilometer ­volle Kanne prügeln, ohne sie groß pflegen zu müssen. Aber werden Bordelektronik, Leichtbaurahmen, Servobremsen mit ABS, Fahrmodi und Traktionskontrollen in 70 Jahren noch so ­zuverlässig im Alltag bestehen können wie die biedere Technik dieser BMW R 25?

Die BMW R 25 ist einfach ein sympathischer Oldie

Wird ­eine kostenminimiert gefertigte und mit irreparablen Einweg­teilen ­konstruierte F- oder G-BMW jemals als sympathischer Oldie neben unseren ­Kindern an der Ampel stehen? Aber andererseits: Wären wir bereit, für die Qualitäten einer leistungssschwachen 250er neun ­Monatslöhne auszugeben? Man kann über Ratten denken, was man will. Aber die Evolution hat gezeigt, dass simple Lebensformen viel besser mit Veränderungen und Krisen ­fertig werden als hochentwickelte Organismen.

 

Dirk Ramackers