Seit der R 5 Hommage träumen Boxer-Fans von einem schneidigen BMW-Cruiser. Genährt von zwei bildhübschen Concept-Bikes stiegen die Erwartungen an ein begehrenswertes Monumentalkrad. Nachdem die Münchner aber die Serienmaschine präsentiert haben, finden wir diese: nicht so begehrenswert.

Ob die Idee wirklich so gut war, den neuen Big Boxer zunächst von hochbegabten Customizern in Szene setzen zu lassen? Vor allem die Concept /1 hat reichlich hohe Erwartungen an das Cruiser-Comeback der Bayern geschürt. Würde BMW tatsächlich einen dermaßen heißen Apparat auf die Straße bringen? Nein. Die nun gezeigte Serienversion wirkt gegen das puristische Concept-Bike doch reichlich aufgedunsen. Der Anblick schmerzt ein wenig, denn die feine Linie ist futsch, die Proportionen verrutscht. Was nicht zuletzt an der deutlich längeren und steiler angestellten Gabel liegt. Und dem ausladenden Heckfender nebst satt gepolstertem Sattel.

Tja – und dies ist nun das Serienmotorrad. Eleganz und Grazie sind ein gutes Stück weit verloren gegangen. Das liegt natürlich auch an all dem für eine Zulassung nötigen Schlonz, den die Concept-Bikes nicht brauchten. Aber die beiden Auspuffgeschwüre im Wärmflaschen-Design hätte es auch nicht gebraucht. Zumal das rechte die hübsche, offen laufende Kardanwelle nahezu komplett verdeckt

Schon klar, es ist eine BMW und die muss natürlich gut zu fahren und bequem sein – und dem Besitzer keinen Dreck auf den Rücken schleudern. Und natürlich: Das Serienbike hat auch keine Vergaser mehr, sondern Einspritzung. Und einen Ölkühler. Sowie Spiegel, Blinker und Kennzeichen und alles, was es halt im anbrechenden Euro-5-Zeitalter so braucht. Nachvollziehbar, dass ein freies Rahmenheck da keine Option mehr ist … Dennoch: Das ganze Arrangement wirkt insgesamt etwas unstimmig. Im Vergleich dazu sieht man Harleys Softail-Modellen den optischen Feinschliff von dreieinhalb Jahrzehnten schon an. Aber es ist ja erst der Anfang, mal sehen, was da noch kommt. Bagger und Full Dresser sind schon beschlossene Sache. Und etwas Bobberähnliches lässt sich schon jetzt ab Werk bestellen.

Der Grundpreis von 22.800 Euro nähert sich nach ein paar Klicks der 30-Mille-Marke

Der Konfigurator offeriert ein breites Angebot an Werks-Customparts: Aluräder, seitliche Kennzeichenhalter, Spiegel, Griffe, Lenkererhöhungen, Windschilde … und jede Menge Deckel und Gefrästes zur Verschönerung – teilweise von Roland Sands designt. Mustang steuert einen Stall voll Customseats bei und von Vance & Hines kommen klassische Tapered-Auspuffanlagen, die vermutlich ein Bestseller werden. Der Grundpreis von 22.800 Euro nähert sich so nach ein paar Klicks der 30-Mille-Marke.

Dieses Triebwerk ist eine Augenweide: Bullen-Boxer mit hübsch in Szene gesetzten Stößelstangen. Sie treiben die zwei oben liegenden Nockenwellen an, die jeweils vier Ventile betätigen. Das 1,8-Liter-Aggregat schickt zwischen zwei- und viertausend Touren immer mehr als 150 Newtonmeter ans Hinterrad

Wie schon bei der R nineT will es BMW der umbauwilligen Kundschaft möglichst einfach machen: So können an die Hydraulikleitungen von Kupplung und Bremse – beispielsweise bei einem Umbau auf Apehanger – einfach Verlängerungen »eingeklickt« werden. Gleiches gilt für den Kabelbaum. Wenn das mal mit den Fußrasten auch so einfach wäre. Die mächtigen Möpse des Boxers verhindern jegliche Vorverlegung, womit der BMW-Cruiser für einen Gutteil der Easy-Rider-Fraktion sowieso nicht in Frage kommt. Immerhin gibt es bereits ab Werk die Option, Motorschutzbügel mit Beinauflage anzuschellen, sodass die Gräten in luftiger Höhe über den Zylindern ruhen können.

Im Vergleich zur Softail hat die BMW aber auch gut 80 Pfund Übergewicht

Spannend wird der erste Ausritt werden. Weniger, was die Leistung anbelangt – die liegt auf dem Niveau des Milwaukee-Eight. Auch bei Fahrwerk und Bremsen kann man davon ausgehen, dass BMW sich keine Blöße gibt. Aber wie der 7-Zentner-Brocken wohl um die Ecke geht? Der Boxer ist mit seinem tief liegenden Schwerpunkt ja ein Garant für lockeren Kurvenswing. Im Vergleich zur Softail hat die BMW aber auch gut 80 Pfund Übergewicht. Und haben sie es geschafft, dem Boxer das Furzen abzugewöhnen und klangtechnisch auf das Niveau eines V2 zu hieven? Das wird sicherlich mitentscheidend für den Erfolg sein.

Mit elektronischen Spielereien hat es BMW nicht übertrieben: Drei Fahrmodi stehen dem Fahrer zur Verfügung, dazu gibt es noch eine Stabilitätskontrolle sowie eine Motor-Schleppmoment-Regelung und natürlich ABS. Rückfahrhilfe und Berganfahrhilfe, für alle, die vergessen haben, dass man so etwas in der Fahrschule gelernt hat, sind gegen Aufpreis erhältlich

Und nun? Sind wir gespannt, ob dieses Motorrad steil gehen wird. Unsere Prognose, die unter dem Eindruck der ersten Enttäuschung steht: Eher nicht. Nach der anfänglichen Begeisterung ob der ergreifenden Concept-Bikes herrscht nun eine gewisse Ernüchterung, weil die Serienmühle etwas unschlüssig geraten scheint. Als ob man Angst vor der eigenen Courage gehabt und den Fender dann doch etwas größer ausgelegt, den Sitz doch etwas dicker gepolstert und die Gabel doch etwas handlingsfreundlicher angestellt hätte. Und wie schade ist es um die wunderbare Streuglasfunzel, die gegen einen Klarglas-LED-Scheinwerfer getauscht wurde. Auf Wunsch mit adaptivem Kurvenlicht.

Das Potenzial der Maschine muss man halt freilegen

Aber wer weiß, vielleicht war es doch eine gute Idee, zunächst die hochbegabten Customizer ans Werk zu lassen. Die haben nämlich gezeigt, welches Potenzial in der Maschine schlummert – man muss es halt freilegen …

Info | bmw-motorrad.de

 

Carsten Heil, hat die typische Zweiradkarriere der 80er-Jahre-Jugend durchgemacht: Kreidler Flory (5,3 PS), 80er-Yamaha DT und mit achtzehn dann die erste 250er Honda. Nach unzähligen Japanern über Moto Guzzi ist er dann schließlich bei Rohrrahmen-Buell gelandet. Seit 1992 mit Fotoapparat und Schreibgerät in Sachen Kradkultur unterwegs.