Verona Bike Expo, die größte Show des Stiefels. Andrea Radaelli krönte sie mit seiner BMW R 1100 S – oder dem, was von ihr übrig blieb.

Seine Design- und Handwerkskünste sind legendär und gefragt: Andrea Radaelli verwandelt Motorräder in rollende Kunstwerke. Nach zwei überaus erfolgreichen Customharleys auf der Motor Bike Expo 2019 rollte das italienische Multi-Talent 2020 Jahr ein neues Projekt nach Verona. Von der ehemaligen BMW R 1100 S des Baujahrs 1999 blieb kaum mehr übrig als der Antriebsstrang.

Der Künstler und sein Werk: Andrea Radaelli verwandelt Motorräder in rollende Kunstwerke

Die Metallarbeit: Radikal, wie gewohnt. »Officine Mermaid« stellte das Basisbike für eines der aufwendigsten BMW-Custombikes des Jahres! Poliertes Aluminium und viele handgefertigte Komponenten umrahmen das zwanzig Jahre alte Boxer-Triebwerk, das noch immer für sportliche Fortbewegung steht.

Andrea Radaelli hat nur ein Moto: Ganz oder gar nicht

Wer die Karriere von Andrea Radaelli aka »Radikal Choppers« verfolgt hat, weiß, dass der bei Weitem nicht nur auf die amerikanischen Eisen beschränkt ist. Tatsächlich ist der Customspezialist wesentlich vielseitiger und hat in den letzten Jahren auch Motorräder anderer Hersteller in Szene gesetzt.

Das Motorgehäuse wurde schwarz lackiert. Deckel und Köpfe bestehen aus poliertem Aluminium mit eingelassenen Messingteilen

Sein Markenzeichen ist die extreme Ausführung von Details und die damit oft verbundene vollständige Umgestaltung des Originals. »Halbe Sachen mach ich nicht«, der Name Radikal ist Programm und Chopper sind keine zwingende Notwendigkeit.
»Officine Mermaid« dagegen ist ein Motorradshop im Norden von Mailand, nicht weit entfernt vom Bahnhof Garibaldi. Bekannt wurde die Schmiede durch vorwiegend »urbane« Projekte auf Ducati-Scrambler-Basis, aber auch Harley-Davidson, BMW und japanische Citybikes stehen auf dem Programm.

Der Umbau soll für Aufmerksamkeit sorgen

Insgesamt Motorräder, die das Vorwärtskommen in den notorisch verstopften Straßen der italienischen Metropole erleichtern sollen und können. Ein reichhaltiges Angebot an Gebrauchtmaschinen ist entweder schon umgebaut oder steht als Basis für eigene Umbauwünsche bereit. Für dieses Projekt, das das Augenmerk weniger auf Alltagstauglichkeit denn auf Aufmerksamkeit richtet, tat man sich nun also mit Andrea Radaelli zusammen.

Tank und Sitzbank bilden eine Einheit

Als Basis diente eine gebrauchte BMW R 1100 S von 1999. Der Vierventil-Motor wurde komplett zerlegt und überholt, was allein schon einen ziemlichen Aufwand darstellt. Im Innenleben gab es wenig Änderungsbedarf, denn realistisch betrachtet sorgen die fast 100 PS des Serienmotors für genügend Vortrieb und ermöglichen eine durchaus sportliche Fortbewegung.

Die Auspuffanlage ist ein kompletter Eigenbau

Eine BMW-Kupplung hält normalerweise auch ihre 100000 Kilometer, dann wird es allerdings aufwendig, wenn Getriebe und Kardan den Zugang zur Kupplung verwehren. Mit offenen Ansaugtrichtern und einer spektakulären eigenen Auspuffanlage, die die Abgase in das spitze Heckteil führen, wurde die Luftfilterbox über dem Getriebe völlig neu aus Aluminium gehämmert, die Ansaugtrichter harmonisch eingearbeitet.

BMW-Radikal-Mermaid-Brückenrahmen mit Steuerkopf-Hilfsrahmen

Während Motor- und Getriebegehäuse schwarz lackiert sind, glänzen Deckel und Köpfe in poliertem Aluminium mit eingelassenen Messingdetails und »Radikal Mermaid«-Schriftzügen, die die Gemeinschaftsarbeit verkünden.

Viel blieb nicht übrig von der BMW R 1100 S

Vom Fahrwerk der Serien-Sportkuh blieb lediglich der Rahmenteil für Motor- und Getriebeaufhängung: Das Heckteil mit Sitz und Auspuff ist mit dem Hauptrahmen verschraubt, Tank und Sitzbank bilden eine eigene Einheit. Die Metallarbeit lieferte Ireful Motorcycles aus Monza, spezialisiert auf Aluminium-Einzelstücke für BMW und Ducati.

Die FG-Trapezgabel wurde modifiziert und geschmälert und mit Öhlins-Dämpfer bestückt

Der Austausch der BMW-Telelever-Vorderradschwinge gegen die Trapezgabel von FG Racing aus Burago Di Molgora erforderte einen komplett neuen vorderen Hilfsrahmen für die Gabelaufhängung.Die Gitterrohr-Konstruktion erinnert an die Fangarme eines Kraken, die alle in einem zentralen Steuerkopf vor dem Boxermotor enden.

Designkünste und hochwertiges Handwerk fließen zusammen

Unterzüge führen zur voderen Motoraufhängung, denn auch bei diesem rollenden Kunstwerk wird der Boxer als tragendes Fahrwerksteil genutzt. Die FG- Racing-Trapezgabel wurde von Andrea verschlankt, zwischen die Gabelhälften wurde ein LED-Designscheinwerfer von platziert. Auch die Räder stammen aus dem Großraum Mailand, lieferte JoNich doch schon die Speichenräder für diverse Radikal-Chopper-Projekte.

Tank, Stizbank und Fender stammen von Ireful Motorcycles

Die Bremssysteme von Discacciati sind in der Customszene eher unbekannt, haben jedoch seit über fünfundzwanzig Jahren im Motorsport einen exzellenten Ruf: Enrico Discacciati entwickelte seine Armaturen und Bremssysteme aus seinen Erfahrungen bei Kenny Roberts und dem Gallina-Team – an diesem Projekt stammen Bremsen, Armaturen und Fußrasten von dem CNC-Hersteller aus Appiano Gentile bei Varese.

Zu Recht zum »König von Verona« gewählt

Zum »King of Verona« gekrönt wurde Andrea Radaelli schließlich von der fünfköpfigen MBE-Award-Jury bestehend aus US-Customizer Paul Yaffee, Rob Woodruff (Buffalo Chip/Sturgis), Antique-Bike-Rennlady Brittney Olsen, sowie Kim und Andreas Bergerforth von Thunderbike aus Deutschland. Und die hatten wahrlich keine Scheuklappen auf.

Info |
officinemermaid.com
Instagram: @radikalchopper

 

Horst Rösler
Freier Mitarbeiter bei

Diplom-Ingenieur Horst Rösler ist Jahrgang 1960 und unter seinem Nicknamen »Motographer« seit Jahren einer der wahrscheinlich meistveröffentlichten Bildjournalisten in Sachen Custombikes auf Harley-Davidson- und V-Twin-Basis. Als Plastikmodellbauer seit jungen Jahren, schrieb er von 1979 bis 2009 zunächst als freier Mitarbeiter, später dann als Redakteur für Motorräder für die Fachzeitschrift »Modell Fan« und von 1980 bis 1985 für das Motorradmagazin »Visier«. Seit 1992/93 ist er freiberuflich für deutsche und internationale Custombike-, Harley-Davidson- und Motorradmagazine tätig. Horst ist ein Szene-Urgestein und es gibt wohl kaum ein Event auf diesem Planeten, wo er nicht anzutreffen ist. Sei es als Organisator für Bikeshows oder als Fotograf unter anderem für die AMD World Championship von 2004 bis 2010. Als der »Motographer« ist er weltweit auf verschiedenen Harley-Events unterwegs und spezialisiert auf Randthemen oder zunächst kaum beachtete Newcomer der Customszene. Das bestmögliche Bildmaterial bereitzustellen gehört ebenso zu seiner Passion wie die intensive Suche nach Originalquellen, Zeitzeugen und die Zuordnung von Motorrädern in ihren geschichtlichen Hintergrund, wobei er nicht nur auf Custombikes beschränkt ist.