Diese AME BMW R 75/6 – von einem Ostborn-Wabi-Sabi-Punk erbaut – packt Tradition und Provokation zwischen ihre Räder.

Er ist präzise, geradeaus und schön rotzig im Sound«, so Steven Mehlhorns Kurzbeschreibung seines Choppers. Doch diese Charakteristik wird für ihn erst vollständig, wenn er die akustischen Lebensäußerungen seiner BMW mit dem Bass-Solo in »Punish me« gleichsetzt. Das Stück stammt von der legendären US-Punk-Band »Poison Idea« – und von der ist Steven bekennender Fan.

Protest, der sich durch bewusst auffälliges Aussehen offenbart

Ja, er nennt sogar sein Bike nach dieser Gruppe. Warum auch nicht? Punk ist gewollte Abgrenzung zur bürgerlichen Gesellschaft; ist Protest, der sich durch bewusst auffälliges Aussehen und rebellische Haltung offenbart. Näher betrachtet finden sich zwischen Stevens favorisierter Musikrichtung und den Ursprüngen des Custombikebaus viele Parallelen. 

Slimline? Getreu der wahren Hot-Rod-Lehre: Der dicke BMW-Flat-Twin-Motor wird dominantester Part im Plan von Steven Mehlhorn. Beeinflusst von frühen US-Customs, nutzt der Wabi-Sabi-Punk – wenn möglich – authentisch altes Baumaterial

In der ursprünglichen Bedeutung meint Punk gar »verdorben, schlecht, in mäßigem Erhaltungszustand« und rückt somit in Reichweite japanischer Wabi-Sabi-Ästhetik. Das Konzept des Wabi-Sabi lebt vor allem durch Minimalismus, der bevorzugt einen Hauch Schäbigkeit demonstriert, weil erst Mängel das Schöne vollkommen machen.

Eine von geleckter Perfektion beherrschte Szene?

Der Zero-Engineering-Gründer Shinya Kimura hat uns das vorgemacht. Er schlug Mitte der neunziger Jahre eine Schneise in eine von geleckter Perfektion beherrschte Szene. Seit den achtziger Jahren waren fast nur noch Custombikes zu sehen, die zunehmend von Glattflächigkeit, Harmonie in der Linienführung und farblicher Angleichung der Bauteile lebten.

Pizza-Cutter: Klassisch schmal und original? Ab Werk trägt eine R69/S ein 18-Zoll-Hinterrad, 4,00 Zoll breit. Breitere, viereinhalbzöllige, Hinterreifen sind möglich, aber im Grunde für den Gespannbetrieb gedacht. Dicke 5,00-H-D Reifen? Da muss zum Einbau die Luft raus

Kimuras Interpretation des Wabi-Sabi riss diese massiven Strukturen ein und öffnete Türen, die einen Blick zurück zu den Ursprüngen ermöglichten. Steven, 1975 geborener Ost-Bürger, kaufte sich in eben jenen neunziger Jahren diverse Ausgaben der Zeitschrift »BIKERS live!« (heute unsere CUSTOMBIKE).

AME BMW R 75/6 – Bitte keine Nadelstreifen

Ein Bericht über Mimi Schneiderbangers BMW R69S fasziniert ihn besonders. Ins Gehirn eingemeißelt bleiben ihm die letzten Zeilen des Artikels, in denen sich der Autor wünscht, künftig noch einige BMW-Chopper-Projekte zu sehen … denn die meisten würden ja zurückgebaut werden, um dann – vollrestauriert – wieder mit »Nadelstreifen« dazustehen. 

Chop-Job: Die Verwendung des 21er-Vorderrads und der 19er- Felge hinten ist eine Hommage an die Umbauten von Stevens großem Vorbild: Der stilbildende Pinstriper und Künstler Von Dutch machte selbst vor dem Umbau von XA-Harleys und BMWs nicht halt

So einen BMW-Chopper bauen, die Idee frisst sich fest! Das ändert sich auch nicht, als die Kollegen Markus Ernst und Fred Mullen – heute als Gründer des Roadrunners Paradise Festivals bekannt – heftig abwinken. Mit BMWs können die zu der Zeit überhaupt nichts anfangen. Spöttisch fragt Fred ihn hin und wieder nach der BMW, was der Idee nur noch mehr Auftrieb gibt. Dazu ergibt es sich, dass Kumpel Timo Jacobs mit Klaus Lemke einen Film dreht und von dessen früherem Fernsehfilm »Rocker« erzählt.

AME BMW R 75/6 – Einblick in die Chopper-Historie

Steven sieht ihn, liebt ihn und es bestätigt ihm nochmal: »Digga, wenn was Authentisches, dann geht nur BMW!« So beginnt er irgendwann doch seinen eigenen Boxer-Chopper zu bauen. Von einem BMW-Boom – wie heute – ist weit und breit noch lange keine Spur zu sehen. Für das Projekt werden die ersten Teile gesammelt, dann wird Steven Vater: Drei Kinder und ein Studium lassen wenig Zeit zum Schrauben. Doch Stevens Ideen festigen sich in dieser Phase, auch wenn sie sich etwas wandeln. Das Internet erlaubt ihm nämlich zunehmend Einblick in die Historie der Chopper.

Die Yamaha-Soziusfußrasten fallen wohl unter die Provokationen, die der Punk verlangt

Es zeigt sich, dass gebobbte und gechoppte BMWs keineswegs nur ein Phänomen aus dem Nach-Easy-Rider-Deutschland sind. Bilder und Berichte über »chopped Beemers« aus den USA zeigen eindrücklich, dass in den fünfziger Jahren in Übersee nicht nur Indians, Harleys und die britischen »Limeys« zum Umbau herangezogen wurden. »Neben diesen ganzen Inspirationen gibt es einen Typen, den ich ganz groß finde: Kenneth Howard aka Von Dutch!« Steven hegt merklich Sympathie für den Lackier- und Pinstripe-Künstler. Dieser hatte eine BMW R51/3 modifiziert und dabei ein 21er-Vorderrad und einen anderen Tank angebaut.

Als aus Bob Jobs langsam Chopper wurden …

Schon damals wurden gerne auch leistungsstärkere Motoren reingequetscht. Von Dutchs XA-Harley beispielsweise, die als BMW-Kopie gilt und das gleiche Rahmenlayout zeigte, wurde von einem VW-Vierzylinder-Boxer befeuert. Vor Stevens geistigem Auge hat sich mittlerweile eine BMW manifestiert, die aussieht wie ein Bike aus den Tagen, als aus Bob Jobs ganz langsam Chopper wurden. Allerdings nutzt er nicht den R 51/3-Rahmen mit Geradweghinterradfederung, sondern einen mit Hinterradschwinge, verbaut ab 1960 in den Modellen R 50 bis R 69 S.

Zwei 32er Bing-Zerstäuber versorgen den ollen Boxer mit Zündfähigem

Der hat zwar noch eine ähnliche Optik, aber da lässt sich der potentere Motor einer neueren Zweiventil-BMW einbauen. Steven ist klar, sein Chopper muss Ecken und Kanten haben, urtümliches Flair verströmen und er wird sicherlich nicht »everybodys darling« sein. Ganz entgegen der Neunziger-Trends zu Extrembreitreifen, Glattflächigkeit und Minimalisierungsversteckaktionen beharrt er auf seinem Plan. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Diese alte Weisheit lässt jedoch völlig außer Acht, dass wir durch häufig gesehene Beispiele in unserer Meinung unbewusst vorgeprägt sind.

AME BMW R 75/6 – Die Perfektion im Unperfekten

Für Steven steht jetzt fest »nur Teile zu verwenden, die auch in zehn oder zwanzig Jahren noch begeistern!« Das weltweit reichende Internet hilft ihm sie zu finden, noch bevor der Hype um solche Parts losbricht und Unsummen für Originale bezahlt werden. Da wäre zum Beispiel der originale Bates-Sattel. Das dazugehörige Pillion-Pad baut er sich selbst in der gleichen Machart wie einst Bates. Als es bei Steven dann akut mit dem Bikebau weitergeht, hat er auch zum Wabi-Sabi gefunden: Dem Zen der Dinge, dem Schönen im Schlichten, oder wie er es selbst nennt, »der Perfektion im Unperfekten.«

Gebobbte und gechoppte BMWs sind keineswegs nur ein Phänomen aus dem Nach-Easy-Rider-Deutschland

Ein Spannband darf ihm jetzt als Befestigung der Batterie dienen. Vielleicht wird es sogar bleiben, wie die Ringschlüssel als Halter für die Trompetenauspufftöpfe. Und auch die umwickelten Krümmerrohre gehen in diesem Konzept auf, selbst wenn das nicht ganz mit dem klassischen Ideal vereinbar ist. Stevens Arbeitgeber ist die Uni Weimar und eine Zeit lang ist er auch als Kameramann für den MDR tätig, eine Fähigkeit, die er nun als Filmemacher und freier Dozent in Sachen Mobile Reporting – Filmen mit dem Smartphone – nutzt.

AME BMW R 75/6 – Schmale Boxer-Chopper gibt’s nur wenige

An seiner BMW werkelt Steven immer nur nebenbei, aber irgendwann ist sie tatsächlich fahrfertig auf der Straße: Sein rollendes Werk! Für uns darf es der Künstler und Fotograf Sebastian Wanke ins rechte Licht rücken. Steven selbst trägt sich mit Überlegungen, sein Werk nun loszulassen, was Neues zu beginnen. Und er zieht ein Resümee: »Ja, BMWs gibt’s heute wieder viele, aber kaum schmale Chopper, eigentlich kenne ich hier keinen weiteren. Das Magazin von damals habe ich noch im Regal. Mimi hat seine BMW ja auch noch und er meinte, ich solle mal nach Franken kommen!«

Näher betrachtet finden sich zwischen Stevens favorisierter Musikrichtung und den Ursprüngen des Custombikebaus viele Parallelen

Vielleicht wird daraus irgendwann ein BMW-Chopper-Treffen – dank der R 18 dürfte ja künftig reichlich Boxer-Bikes dazustoßen, wenn auch keine schmalen. Oder gar ein Treffen für alle deutschen Fabrikate? Der Anstoß ist gegeben. Wir fragen uns sowieso schon lange: Wo sind eure umgebauten Horex, AWOs, Zündapps, NSUs und EMWs geblieben? Tragen sie jetzt alle wieder Nadelstreifen?

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.