Billiger und schmerzfreier als ein sogenanntes Exploitation Movie ist kaum etwas – Biker blieben von diesem Film-Trash nicht verschont

1954 ist das Jahr, in dem der erste echte Biker-Film die Kinos in Hollywood stürmt, mit ungeahnten Konsequenzen für das Selbstverständnis der Motorradszene. »Der Wilde« greift die realen Ereignisse von Hollister auf, wo Biker 1947 den Aufstand gegen Bürgertum und Spießigkeit probten. Marlon Brando prügelt sich auf der Leinwand mit Lee Marvin durch eine Rentnerstand und wird zum Helden der Jugendrebellion. Ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Mythos Triumph übrigens, denn der Amerikaner fährt im Film eine Thunderbird. Und er trägt eine Kluft, was in der Folge dafür sorgt, wie sich die Rebellen des echten Lebens kleiden.

Erste Biker-Filme Ende der Fünfziger Jahre

Überall spielen sich die Jungrocker nach Vorbild des Filmes auf, tragen Leder, schmieren sich Pomade ins Haar, hören lange verachtete »Negermusik« und fahren illegale Rennen auf geklauten Motorrädern. Das bevorzugte Fortbewegungsmittel ist der eigene, gestrippte Cafe Racer oder Scrambler mit individuellem Lenker, knappen Schutzblechen und kleinem Sitzhöcker – stark angelehnt an die damaligen Rennmotorräder. Filme, die versuchen, im Kielwasser von »Der Wilde« Erfolg zu haben, sind zum Beispiel »Teenage Devil Dolls« (1955), »Lederjacken rechnen ab« (1957) oder »Wilde Jagd« (1958). Schnell legt sich das Getöse um die »Rocker« aber wieder. James Dean ist tot, Marlon Brando spielt nun Kostümfilme und der Kommunismus wird zur größeren Bedrohung als es ein paar Halbstarke je sein könnten. Cut!

Im Film »Der WIlde« fährt Marlon Brando eine 1953er Triumph Thunderbird. Hier posiert er auf einem Matchless G9-Twin. Das Foto entstand am Rande der Dreharbeiten

1948 hatte sich das erste Hells Angels-Charter im kalifornischen San Bernardino gegründet. Ebenfalls Rebellion, ebenfalls Ansage ans Establishment und mit mächtig viel krimineller Attitude. Ach so, und mit umgebauten Motorrädern natürlich. Eine Harley-Davidson ist Pflicht, ein Starrrahmen ebenso. Das Frontend des Bikes ist gereckt und von unnötigem Ballast befreit, der Heckfender ist gekürzt, um Gewicht zu sparen – und damit es cool aussieht. Der Auspuff ist höher gezogen als beim Original. Die Vorstufe des Choppers ist geboren und sollte sich als kalifornischer Stil durchsetzen. Lediglich beim Lenker sind Spielereien erlaubt. Der eine bevorzugt den klassischen Ape, der andere verbaut Z-Lenker oder halbhohe im BMX-Stil.

Exploitation Ära

Zum ersten Mal auf großer Leinwand sind derartige Bikes bezeichnenderweise im Film »The Wild Angels« zu sehen, er erscheint 1966. Roger Cormans Film wird in Südkalifornien gedreht, Peter Bogdanovich assistierte bei Drehbuch, Kamera und Schnitt und übernimmt außerdem eine Statistenrolle. Peter Fonda spielt den nachdenklichen »Heavenly Blues«, Boss einer Rocker-Gang, echte Hells Angels komplettieren das Ensemble. Regisseur Corman sieht in seinem Bikerfilm einen modernen Western, immerhin geht das klassische Western-Genre zu dieser Zeit gerade unter. Also macht Corman aus Pferden Motorräder und aus Wildwest-Banden Outlaw-Gangs. Der Film wird ein großer Erfolg, vor allem beim jüngeren Publikum, das in den Kinositzen gröhlt, wenn die Rocker auf der Leinwand in handfesten Streit geraten. Dabei ist »The Wild Angels« nach heutigem Maßstab ein oberflächlicher Film, der nicht der Rede wert ist. Ebenso wenig wie Jack Nicholsons erster Auftritt als Biker und LSD-Konsument in »Rebel Rousers« von 1967. Und trotzdem werden eben jene Filme in den Folgejahren eine eigene Welle an Biker-Filmen hervorbringen. Cut!

Für viel Wirbel sorgte Anfang der 60er-Jahre der Rockerclub Hells Angels. Roger Corman machte sie in seinem »The Wild Angels« erstmals zu Filmhelden, spielten doch die Clubmitglieder auch im Film mit. Es sollten zahlreiche Angels-Filme folgen

Parallel zur filmpostalen Entwicklung unserer Szene schleicht sich auch eine komplett neue Art von Filmen in die amerikanischen Kinos. Exploitation – zu Deutsch: Ausbeutung. Exploitation-Filme dieser Zeit sind astreine B-Movies, ein Begriff, der aus den 20er-Jahren stammt. Damals war es üblich, bei einem Kinobesuch sogenannte »Double Features« zu sehen. Es werden zwei Filme gezeigt, ein A- und ein B-Movie. Letzterer ist stets eine Low-Budget-Produktion, also mit  sehr wenig Geld und Aufwand produziert, und greift oft Tabuthemen auf. Die Filme von Regisseur Ed Wood sind solche hervorragenden Beispiele für B-Movies, die es bekanntlich bis heute gibt. Und es gibt sogar Kinos, die auf das Zeigen der zweitklassigen Filme spezialisiert sind. Diese »Grindhouses« schießen damals wie Pilze aus dem Boden und locken ihr Publikum mit günstigen Preisen und ganz viel Sex, Angst und Gewalt.

B-Movies als Massenproduktion

Die Exploitation-Movies, die also ab Mitte der 60er die Leinwände der Grindhouse-Säle stürmen, sind in der Regel solche B-Movies. Aber vor allem sind sie Mitschwimmer, die auf erfolgreiche Blockbuster-Genres aufspringen und hoffen, ein bisschen von deren kommerziellem Erfolg zu erhaschen. Der Bedarf an Filmen ist zu dieser Zeit groß, verstärkt noch durch das amerikanische Kabelfernsehen, das Anfang der 70er-Jahre aufkommt. Es werden also in schnellster Zeit massenweise billige Filme gedreht. Und da der Erfolg von Marlon Brando und den Wild Angels noch in der Luft hängt, etablieren sich Biker-Exploitation-Movies schnell als Unterkategorie des Trash-Wahnsinns. Dass 1969 mit »Easy Rider« ein oscarprämierter und von Kritikern zum Teil hochgelobter Motorradfilm erscheint, verstärkt die Sache noch.

»Easy Rider«

Die Biker-Exploitations werden mehr und mehr, alleine zwischen 1965 und 1970 werden um die 70 Filme in diesem Genre gedreht, allein in Amerika. Wer dabei eine Handlung erwartet, wird in der Regel enttäuscht. Wir sprechen nämlich hier wirklich von Schwachsinn in Reinkultur. Zwar versuchen die Filme für ihre reißerische Darstellung von Gewalt, Sex, Drogenmissbrauch und Kriminalität eine sinnvolle Handlung zu liefern, scheitern aber in der Regel kläglich. Aber hey, um jedes Vorurteil und alle Gewalt in manchmal nur 80 Minuten Laufzeit zu pressen, ist eine echte Handlung fast hinderlich. In der Folge wird das Ganze einfach nur skurril. Helden sind so verkommen wie ihre Gegenspieler, Drogen erzielen nicht den gewünschten Abschreckungseffekt, der Sex ist immer sehr explizit und die Bösewichte sind wahlweise die Biker selbst, ansonsten auch gerne Zombies, Nazis, Indianer oder zumindest schwarze Mitbürger.

Exploitation und der Tiefpunkt des Trashs

Das impliziert übrigens, dass der Verstand von Bikern und anderen Minderheiten von der Öffentlichkeit dieser Zeit übereinstimmend auf dem Niveau eines Toastbrotes gesehen wird. Das Verhältnis der damaligen Gesellschaft ist nicht im Gleichgewicht, und das merkt man den Filmen an. Wir geben euch mal ein Beispiel für die Handlung eines Biker-Exploitation Movies: Nehmen wir mal »Wherewolves on Wheels« aus dem Jahr 1971, den Tiefpunkt allen Trashs. Wir haben hier eine Rockerbande, die prügelnd und stehlend durch die Gegend fährt. Dann haben wir einen Indianer, der gleichzeitig Weissager ist und der Braut des Chefrockers eine düstere Zukunft voraussagt. Sie erzählt es dem Rockerboss, der findet das scheiße und sucht mitsamt seiner Gang den geweissagten Ort auf, wo alle von Satansjüngern mit Brot und Wein betäubt werden. Als nächstes soll die Rockerbraut wahlweise nackt tanzen, sich mit dem Satan vereinigen oder geopfert werden.

Werewolves On Wheels (USA 1971) – Blutnacht des Teufels

Bevor sich dem Zuschauer dieser Sachverhalt allerdings erschließt, erwachen die Rocker und verprügeln die Satanisten. Dass sie allerdings während ihres Schlafes verwunschen worden sind, erfahren wir erst später. Bis dahin ist alles eigentlich noch ganz gut, aber jetzt wird’s völlig irrsinnig. Es gibt ab hier quasi keine Dialoge mehr, die Gang fährt ellenlang einfach nur durch die Landschaft. Nachts machen sie Pause. Dabei passiert auch was. Wir wissen allerdings nicht genau was, da es ja dunkel ist. Wir vermuten einen Mord, zumal irgendwann ein riesiger Plüschbär, ach nein, ein Werwolf auf einem Motorrad flieht. Dass zwischendurch immer noch die Stimme des weissagenden Indianers aus dem Off tönt, ist allenfalls noch irritierend. Den Schluss haben wir dann nicht mehr verstanden, sorry. Das Kinoplakat zum Film kündigte dieses wirre Spektakel übrigens mit großen Worten an »This Gang thought it was tough ’til it found a new type of hell … The Bride of Satan«, derlei Texte gehören zu einem echten B-Movieposter, logisch. Zahlreiche Beispiele für diese wunderbaren Texte findet ihr auf diesen Seiten.

Müll ohne Custombikes

Wer in den Biker-Movies übrigens grandiose Custombikes erwartet, den müssen wir halbwegs enttäuschen. Lediglich die echten Rocker, die die Filme oft verstärken, fahren in der Regel auf ihren eigenen, umgebauten Harleys im SoCal-Stil. Alternativ werden auch Triumph-Scrambler gefahren – also voll in der Tradition der oben erwähnten ersten Bikerfilme überhaupt. Obwohl in 99 Prozent der Bikerfilme Männer die Hauptrolle spielen, gibt es auch kleine Ausnahmen, die fast ein bisschen emanzipiert daherkommen. Im 1971er-Streifen »Bury me an Angel« von Regisseurin Barbara Peeters zum Beispiel spielt die Schauspielerin Dixie Peabody die Rolle der großen, blonden und extrem sexy daherkommenden »Dag«, Anführerin einer männlichen Bikergang – einfach herrlich. Noch bemerkenswerter in diesem Zusammenhang ist Gordon Lewis’ »She-Devils on Wheels« (1968). Der Regisseur lässt für seinen Film nämlich einen echten Frauen-Motorradclub als Laien-Schauspiel-Truppe antreten.

Frauen in Hauptrollen sind Mangelware, aber wenn, dann gibts richtig auf die Murmel

Einige der Exploitation-Filme sind so hart – für die damalige Zeit versteht sich, dass sie ein »Adult«-Label, ähnlich einer FSK-Freigabe in Deutschland tragen müssen. »Sisters in Leather« (1969) war einer dieser Vertreter. Heftig treiben es Produktionsstudios, die ihren Filmen »Made in Europe«-Stempel geben, um vor den amerikanischen Behörden geschützt zu sein. So ist der dänische Film »Ride hard, ride wild« des Regisseurs Elov Petersson (!) eigentlich ein Produkt des Ami-Studios Phoenix International. Und der Regisseur heißt in Wahrheit Lee Frost. Trotz aller Versuche, das Genre am Leben zu erhalten, ist das Ende der Biker-Exploitations aber schon Anfang der 70er-Jahre nah.

Das Ende einer Filmära

Die Welt ist einfach zu schnelllebig, Easy Rider schon wieder ein alter Hut, andere Filmgattungen drängen voran. Die Black-Power-Bewegung spült das »schwarze« Exploitation-Kino nach vorne. Und die sexuelle Revolution ergießt sich in den Sexploitation-Movies über die Grindhouses. Ein Versuch, dem Biker-Genre noch andere Wendungen und eine Portion Humor einzuhauchen – wie bei »The Pink Angels« (1971) – bleiben erfolglos. So läutet letztlich der oben erwähnte hanebüchene Werwolf-Quark das Ende der Biker-Exploitation-Movies ein. Den wirklichen Schlusspunkt der Ära markiert aber am Ende ausgerechnet einer der wenigen nicht-amerikanischen Filme zum Thema. Der britische »Psychomania« von 1973 gilt heute als absoluter Kult.

The Brotherhood of Bikers lives by the code of the three B‘s: Bikes, Beer and Booty. (Hell Ride)

Dennoch, dank zahlreicher Wiederholungen im amerikanischen Fernsehen der 80er- und 90er-Jahre geraten die Filme nicht in Vergessenheit. Im Gegenteil, mit Beginn des Video-Zeitalters erleben sie ihre Renaissance und werden zu begehrten Kultobjekten unter Filmfreunden und Cineasten. Und dann gibt es noch ganz moderne Regisseure, die die Blütezeit des Grindhouse als Maßstab und Vorbild nehmen. Quentin Tarantino zählt den Biker-Exploitation »The Savage Seven» von 1968 zu seinen Top 20-Lieblingsfilmen. Und setzt dem Genre im Jahr 2008 als Produzent des Filmes »Hell Ride« ein kleines Denkmal. Der Film erntet üble Kritiken und erhält in Deutschland keine FSK-Freigabe. Selbst die um eine halbe Stunde gekürzte Fassung wird im November 2012 indiziert. Ein würdiger Vertreter des alten Genres und eine Verbeugung an die amerikanische Grindhouse-Kultur.

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.