Am ersten Dezemberwochenende steigt die Yokohama Hot Rod Custom Show – wir erinnern uns an unseren letzten Besuch.
Normalerweise fällt die Yokohama Hot Rod Customshow auf den selben Termin wie unsere Custombike-Show, was eine persönliche Teilnahme meist verhindert. Aber 2018 haben wir es trotzdem geschafft, uns die Show selbst anzuschauen und ein bisschen Japan-Motorradluft zu schnupper. Ein Rückblick.
Elf Stunden Flugzeit
Elf Stunden Flugzeit stecken uns in den Knochen. Immerhin, am Flughafen Tokyo-Haneda gibt es eine schnelle Abfertigung durch mundgeschützte Zöllner, der Weg in unser Hotel unspektakulär. Wir schmunzeln über die weißen Handschuhe, die unser Taxifahrer trägt. Tausende Rollerfahrer auf den Straßen, Fehlanzeige. Was man typischerweise von Asien erwartet, das gibt es hier nicht.
Ein bisschen Zeit haben wir heute am Freitag noch, erst morgen soll unser Weg nach Yokohama führen. Wir nutzen die paar Stunden, trinken einen Glühwein auf einem Indoor-Weihnachtsmarkt, der so auch in einer deutschen Stadt stehen könnte.
Kulturschock in der Megacity
Die Japaner essen Bratwurst dazu und kaufen sich Lebkuchenherzen, auf denen »Frohes Fest« steht, Kulturschock für uns. Wir fahren in den 52. Stock des Roppongi Hills Tower und schauen über die Stadt. Sie ist so groß, wie der Blick reicht. 37 Millionen Einwohner leben in Tokio und seinen Vororten, Megacity.
Die Japaner sind uns gegenüber reserviert und respektvoll, sprechen uns konsequent auf japanisch an, selbst Rolltreppen und Toiletten sprechen permanent mit uns, ebenfalls auf japanisch, es ist verrückt. An Englisch will sich hier kaum einer probieren. Japan ist ein hochtechnisches Land, das allerdings seine Traditionen und seine Sprache wie einen Schatz hütet. Am nächsten Tag wird das noch deutlicher.
Das Pacifico, seit langem Heimat der Yokohama Hot Rod Custom Show
Knapp über zwanzig Kilometer liegt Yokohama von Tokio weg, durch die Industrielandschaften am Tomoe River führt unsere Fahrt, die am Pacifico in Yokohama endet, jener großen Halle, die Yokohama Hot Rod Customshow beherbergt.
Es ist Samstag, Aufbautag, und jeder kann einfach so in die Halle latschen und schauen und staunen, als die ersten Autos und Bikes ihre Plätze einnehmen. Wer sich wirklich für die Fahrzeuge interessiert, sollte die Chance, beim sogenannten Set-Up der Yokohama Hot >Rod Custom Show dabei zu sein, unbedingt nutzen.
Yokohama Hot Rod Custom Show – Respekt vor Fahrzeugen
Der nächste Tag wird kaum reichen, jedes Detail, jede Arbeit genug zu würdigen. Und das sollte man, denn eines wird schnell klar: Japaner begegnen nicht nur Menschen mit Respekt, sondern auch ihren Fahrzeugen.
Yokohama ist nicht vergleichbar mit Bikeshows, wie wir sie aus Europa oder den USA kennen. Keine abgesperrten Areale, in denen Motorräder um Pokale buhlen, sondern Bikes, die von ihren Erbauern einzeln in Szene gesetzt werden. Mit einer Akribie, die erstaunt und verwundert.
Voller Fokus auf Motorräder
So gestaltet sich der Stand eines Customizers in der Regel so: Ein kleiner Tisch, auf dem maximal ein paar T-Shirts zum Verkauf angeboten werden oder Visitenkarten liegen, ansonsten voller Fokus auf die Motorräder.
Frühere Werke nett drapiert, der jeweils aktuelle Umbau auf einem Display oder mit einer besonderen Deko versehen, hervorgehoben. Keiner verschwendet zu viel Zeit in den Aufbau eines Standes mit Traversen und Hightech-Schnickschnack, dafür umso mehr in Dekoration und in das Putzen seiner Motorräder.
Lappen schwingen für die Show
Wir sehen Bikes, an denen sechs Leute gleichzeitig stundenlang die Lappen schwingen, einen, der die hunderten Speichen seines HotRods Stück für Stück auf Hochglanz poliert oder einen Customizer, der in mühevoller Arbeit bergeweise kleine Sonnenblumen akkurat um seinen Chopper drapiert.
Fast meditativ wirken diese Arbeiten, bis ins Kleinste durchdacht und ohne Rumgebrülle oder Aufbaustress vollendet. Hauptsache, es ist am Ende stimmig, eine Maxime, die auch für den Bau von Motorrädern gilt.
Perfekt bis ins Detail
Jedes Detail ist perfekt, von den einzelnen Schrauben bis hin zu den Lackierungen, nichts scheint dem Zufall überlassen. Selbst dann nicht, wenn zwei Ironhead-Motoren in einem Bike Platz finden, ist das Endergebnis stimmig und nicht krude.
Doch um mehr über japanische Handwerkskultur zu erfahren, ist es notwendig, noch tiefer einzutauchen. Und so trennen wir uns für heute von Yokohamas Motorrädern
Tokios wildes Herz
Wir fahren nach Shibuya, dem wilden Herz von Tokios Subkulturen, wo Verkehrskreuzung – Shibuya Crossing – die größte Touristenattraktion ist und wo quietschbunter Kawai-Style und alte Traditionen aufeinanderprallen.
So finden wir im Straßenwirrwarr kleine Läden, die Bikerkultur versprühen. Bei »Desolation Row«, »Glad Hands« oder »The Real McCoys« wird Motorradbekleidung handgefertigt und ausschließlich Hochwertiges verkauft.
Qualität in Zeiten von Wegwerfkultur
Nicht das hundertste Billig-Shirt oder die Nullachtfuffzehn-Handschuhe vom Wühltisch, sondern Schuhe, Jacken und anderes Handgenähtes. Versehen mit stolzen Preisen, aber haltbar ein Leben lang. Wer will, kann in Japan viel über traditionelle Qualität in Zeiten der Wegwerfkultur lernen.
Das trifft auf die winzigen Motorradläden in Shibuya, auf die Bikes in Yokohama oder das abendliche traditionelle Shabu-Shabu-Essen gleichermaßen zu. Am Abend machen wir uns auf zu BMW in Tokio, dem größen Händler bayerischer Fahrzeugkultur in Asien.
Night Rider Meeting bei BMW
Wir sind zu Gast auf dem Night Rider Meeting, essen verrückterweise mexikanische Tacos und beobachten die Bikes, die sich hier sammeln. Bei Weitem nicht nur BMWs, sondern auch Hondas Klassiker Sevenfifty und andere seltene Eighties-Vertreter, Respekt gegenüber jedem, keine abfälligen Worte über die, die keine brandneue BMW fahren.
Und weil wir auch danach noch nicht genug haben, geht es noch einmal nach Shibuya, wo sich nachts die Fahrer der Lowrider treffen, ihre Karren hüpfen lassen, offen auf der Straße rauchen und Bier trinken, wo beides doch in Japan verboten ist.
Gegen das Establishment
Aber es juckt sie nicht, sie wollen anders sein, die Hot-Rodder und Custombike-Jungs Japans mit ihrem Faible für amerikanische Kisten. In ihren Gesten und Auftritten gegen das Establishment, bei ihren Autos ebenso detailverliebt besessen wie bei quasi jedem Customfahrzeug, das wir auf unserem Trip sehen.
Halb acht am Sonntagmorgen sind wir wieder in Yokohama, sind dabei, wenn die geladenen Gäste der Show mit ihren Bikes und Autos Aufstellung hinter der Halle nehmen, um später unter tausenden gezückten Handykameras in die Halle einzufahren und die Show damit offiziell zu eröffnen.
Geladene Gäste aus den USA
Diese Gäste sind amerikanische Customizer, ihre Autos und Motorräder die Highlights der Show. Roland Sands, Hawke Lashe, Justin Walls, Ryan Mullion oder Joe Kerivan werden hier als Stars gefeiert, denn sie kommen aus den USA, dem gelobten Land für japanische Customverrückte.
Shinya Kimura ist der einzige Japaner unter den geladenen Gästen, aber auch er lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Kalifornien. Das Verhältnis zwischen Japan und den USA war über lange Jahre nicht das beste, zu tief die Narben, die ein großer Krieg hinterlässt.
Amerika als Maß der Dinge
Und trotzdem, in der Subkultur ist Amerika das Maß der Dinge, und so sind auf der Show der große Teil der Motorräder Harleys aller Dekaden und die Customizer von drüben werden gefeiert. Eigentlich verrückt, haben doch die japanischen Schmieden so viel mehr zu bieten als viele der amerikanischen. Denn ihre Bikes sind nicht nur handwerklich, sondern auch technisch nahezu perfekt.
Kengo Kimura von Heiwa zeigt seine neue BMW R75. Kaichiroh Kurosu von Cherry’s Company präsentiert einen Chopper, der einem Tränen in die Augen treibt, und das neueste Werk vom mehrfachen Showwinner Hoshikawa Hideki, eine Knucklehead samt eigens gebautem Rahmen und Blattfedergabel, bräuchte allein Stunden, um angemessen begutachtet zu werden.
Nur sieben Stunden Zeit
Und hier liegt auch das Dilemma der Show. Denn neben diesen bekannten japanischen Customizern überzeugen auch die unendlich vielen kleinen Buden mit einer Fahrzeugqualität, die in ihrer Summe wohl beinahe jedes andere Customevent toppt.
Wir lassen schon die Autos komplett links liegen, trotzdem reicht die Zeit – sieben Stunden dauert die Show – nicht, jedes der etwa 350 Motorräder im Pacifico von Yokohama angemessen zu betrachten. Während wir versuchen, so viele Motorrad-Details wie möglich zu erfassen, bleibt uns kaum Zeit, die unzähligen anderen Highlights zu bewundern.
Hot Rod Custom Show – Schmelztiegel der japanischen Szene
Nur am Rande nehmen wir wahr, wie viele Stände hier Handgefertigtes, vom Schlüsselanhänger bis zur Selvedge-Denim-Jeans anbieten, wie viele japanische und internationale Lackkünstler hier pinstripen und lackieren oder dass Bands spielen, ein Pin-up-Contest stattfindet, tätowiert wird oder Fans stundenlang für exklusive Merchandise-Produkte des Veranstalter Mooneyes anstehen – vor allem nach den limitierten Vans-Schuhen, die nur hier auf der Veranstaltung verkauft werden und später im Internet horrende Summen kosten.
Die Show ist ein Schmelztiegel, eine Mischung aus südkalifornischem Lebensgefühl und japanischer Tradition. Und sie ist respektvoll über alle Maßen. Wenn wir ein Foto von einem Motorrad machen, bleibt jeder um uns herum stehen, um uns das Bild nicht zu versauen, niemand ist laut, keiner schreit.
Absolute Höflichkeit zwischen rauer Fahrzeug-Attitüde
Wenn wir einem Customizer eine Visitenkarte überreichen, so nimmt er sie mit beiden Händen, studiert sie genau und verbeugt sich tief vor uns. Absolute Höflichkeit zwischen rauer Fahrzeugattitüde, wir sind mehr als beeindruckt.
Und da ist es letztlich auch egal, wer hier einen Pokal gewinnt, denn zumindest das ist anderen Bikeshows ähnlich. Zahllose Preise werden vergeben, die Pokalzeremonie dauert eineinhalb Stunden. Wir verpassen sie weitestgehend, weil wir von den Motorrädern nicht genug bekommen können.
Die Tore schließen sonntags punkt 17 Uhr
Zeit bleibt uns nicht mehr viel, denn wenn die Tore des Pacifico pünktlich um 17 Uhr schließen, ist die Hot Rod und Custom Show in Yokohama Geschichte. Bald schon sitzen wir wieder im Flieger nach Hause.
Japan hat seine Spuren hinterlassen, auch Tage nach unserem Trip ist die deutsche Realität noch nicht unsere. Die überall beheizten Toilettenbrillen, die bunte Welt der Getränkeautomaten, die flippigsten Klamotten der Jungs und Mädels in Shibuya, der bunte Krimskram in den 100-Yen-Shops im Gegensatz zur Wahrung von Traditionen in Handwerk und Sprache, der Art miteinander umzugehen ganz im Sinne der Regeln von Respekt und Anstand.
Die Hot Rod Custom Show muss man einmal erlebt haben
Es juckt uns sehr, irgendwann zurückzukehren, nach Tokio und Yokohama, Motor Citys.
Info | yokohamahotrodcustomshow.com
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.
Schöner Artikel. Man spürt die Begeisterung und die Faszination des Autors.
Kein Stress und total cool.
Denke da könnte ich auch mal
hin. Kurz und eindrücklich
Bravo