CUSTOMBIKE bei der Two Wheels Brazil … ach , was wünschen wir uns im kalten deutschen Winter diesen Trip zurück
»Eine lange Reise war das, und unsere Bikes konnten wir nicht mal mitnehmen«, unser Fotograf Josh Kurpius erinnert sich noch an die Widrigkeiten einer Bikeshow-Teilnahme in Südamerika. Gemeinsam mit der absoluten Prominenz der US-amerikanischen Underground-Custom-Szene war er zur Two Wheels Brazil eingeladen worden, damals die erste Bikeshow, die in einem der größten Länder der Erde ablaufen sollte. Dass die eigenen Motorräder dabei keine Rolle spielen würden, war schnell klar. Die Einfuhrbestimmungen des Zoll sind zu streng, zu auflagig, zu nervraubend.
Two Wheels Brazil – Kritische Anreise
Brasilien nimmt es mit Ausländern genau, selbst bei Inlandsflügen müssen sich Touristen immer wieder neu registrieren, neue Formulare ausfüllen. Dass die bunte Truppe aus den Staaten zudem über das nahe Peru einreist, macht die Sache nicht einfacher. Man stelle sich vor: Ein Dutzend volltätowierte Fucker, darunter einer – Chopperdave – der gerade bei einem Unfall mit der Kreissäge seinen halben kleinen Finger verloren hat und mit frischer Naht die Stewardessen am Flughafen von Lima angräbt. Auch dass Wil, amerikanischer Biker, an eben jenem Flughafen im Scherz nach Drogen fragt, kommt nicht gut an. Alle Mann in die Zollkontrolle, bevor es in getrennten Maschinen weiter nach Sao Paulo geht. Hier, in der quirligsten Stadt Brasiliens, soll die Two Wheels Brazil steigen.
Sao Paulo ist nicht umsonst Austragungsort, die Millionen-Metropole hat Rio de Janeiro längst als Wirtschaftsmotor des Landes abgelöst, ist kulturelles Zentrum und Verkehrsknotenpunkt des Landes. Und hier hat sich auch als erstes eine kleine Customszene etabliert, die freimütig zugibt, noch in den Kinderschuhen zu stecken. Paulo de Tarso Amaral, der in seinem Joe King Speedshop bunte Halbschalen von Hand fertigt und Mitbegründer der Two Wheels-Show ist, klärt uns auf: »Lange Zeit gab es kein Customizing in Brasilien. Es war nicht erlaubt, Motorräder zu verändern, deshalb seht ihr auf unseren Straßen auch heute noch vorrangig Serienbikes.« Als die brasilianische Regierung einlenkte und das Modifizieren von Moppeds erlaubte, war Paulo einer der ersten, der die noch junge Szene mitbegründete.
Inspiration aus den USA
Ihm zur Seite standen erste kleine Custombuden wie Rock ’n Cycles und Spades Kustom Cycles aus Sao Paulo oder Brazil Customs aus Rio. Es ist quasi Pionierarbeit, die hier geleistet wird, die Two Wheels Brazil der erste Event-Höhepunkt, den eine Handvoll Enthusiasten stemmen. Die Bikeshow findet auf dem Gelände einer Schule statt, unkonventionell wird die Turnhalle als Bikeshow-Fläche genutzt. Am ersten Veranstaltungstag macht sich leichte Enttäuschung bei unserer Reisegruppe breit, es ist zu übersichtlich hier. Aber zumindest die Bikes überzeugen … alles old school, very californisch das Ganze. Chopperdave grinst: „Sie haben uns hier erklärt, dass sie die Vorlagen für ihre ersten Umbauten aus den USA bekommen haben. Sie lesen amerikanische Zeitschriften, da kommen sie gut ran. Aus Europa kennen sie dagegen nicht viel.
So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Jungcustomizer an den Vorbildern aus den Staaten orientiert haben, als sie ihre ersten Bikes bauten. Und da der Backyard-Stil bei den Amis derzeit das Maß der Dinge ist, ist er es auch hier. Übrigens auch ein Grund, warum sie die in ihren Augen amerikanische Szene-Elite nach Sao Paulo einluden. Die Jungs sind hier Stars, eine Bildausstellung von Josh Kurpius wird genauso frequentiert wie die Skateramp, die Max Schaaf gesponsort hat. Ach, und übrigens, am Haupttag der TWB ist auch niemand mehr enttäuscht. Tausende Motorräder säumen die Palmenstraßen am Eventort, an allen Ecken Barbeques, Mojitos, Pin-up-Girls, Tattoos, Musik und wirklich coole Bikes.
Two Wheels Brazil, ein besonderes Erlebnis
Am Abend geht es über enge Kopfsteinpflasterstraßen in die Bar do Santa, wo die Kustom Kulture Brasiliens eine erste Heimat gefunden hat. Die Fahrt ist holprig, man fährt möglichst in der Mitte der Spur, die Helmpflicht, die hier herrscht, macht Sinn. Bei einem letzten Drink sinnieren die Amerikaner über das, was sie gesehen haben. »Brasilien kommt«, war damals das einhellige Fazit. Und Brasilien ist gekommen. Mittlerweile gibt es eine recht lebendige Szene mit eigenen Events. Coole Sache!
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.