Von Moskau nach Utah: Die russische Customschmiede »Fine Custom Mechanics« über ihren Weltrekordversuch in Bonneville mit ihrer Bonny
CB: Aleksandr, würdest du kurz eure Firma vorstellen? Wann habt ihr angefangen Motorräder umzubauen und bevorzugt ihr bestimmte Marken?
AM: Fine Custom Mechanics wurde 2004 gegründet. Wir bauen exklusive Motorräder, mit denen wir weltweit an Custom-Meisterschaften teilnehmen. Wir sind inzwischen achtfacher Russischer Champion, haben bei der Rats-Hole-Show 2009 in Sturgis den ersten Platz belegt, den neunten Platz bei der AMD-World-Championship 2010. Auf der Intermot in Köln 2016 haben wir bei der AMD-World- Championship den siebten Platz erreicht.
Bonneville – Fine Custom Mechanincs
Motorenmäßig mögen wir besonders die Triebwerke von Ultima, also haben wir ein paar Serien-Harleys entsprechend umgebaut. Allerdings wurde es für uns ab 2014 im Zuge der Wirtschaftskrise in unserem Land immer schwieriger Custombikes profitabel zu bauen. Daher haben wir beschlossen, unsere Firma in Richtung Salzsee-Rennen, insbesondere im Hinblick auf Bonneville, weiterzuentwickeln.
Wir waren tatsächlich das erste russische Team, das in den USA auf den Salzseen angetreten ist. Das Script.Shot.Sound-Team hat unseren Trip gefilmt, der anschließend auf dem Discovery Channel gezeigt wurde. Wir streben also nicht nur danach gute Motorräder zu bauen, wir sehen es auch gleichzeitig als unseren Beitrag zur russischen und weltweiten Motorradkultur. Unser besonderer Augenmerk liegt daher vor allem auf Motorrädern der Marke Ural.
»Auch wir Russen haben Benzin im Blut«
Unsere Leser und wir wissen recht wenig über die Custombike-Szene in Russland. Kannst du uns ein bisschen darüber erzählen? Auch darüber, welche Art von Motorrädern die Menschen in Russland am meisten interessiert?
Die russische Customszene ist relativ jung, sie entstand erst in den 90er Jahren. Momentan gibt es nur wenige Customizer in unserem Land, die ihre Umbauten auf internationalen Shows präsentieren. Das liegt vor allem daran, dass die Regierung Custom- und Tuning-Projekte verboten hat. Custombikes bekommen bei uns keine Zulassung als Fahrzeug im Allgemeinen. Daher ist der Bau von Custombikes unrentabel. Dennoch sind Russen von Motorrädern geradezu besessen.
Wir alle haben in unserer Kindheit und Jugend sowjetische Motorräder gefahren. Geschwindigkeit und Motorräder, ich denke russische Männer haben das einfach im Blut. Besonders beliebt in unserem Land sind natürlich umgebaute Harleys, aber auch BMWs werden immer populärer – und wir tragen regelmäßig Custombike-Building-Meisterschaften aus, deren Gewinner anschließend auf internationale Meisterschaften geschickt werden. Mit Stolz kann ich sagen, dass Fine Custom Mechanics das russische Team mit den meisten Titeln ist.
Bonneville – Die Ural geht an den Start
Im August 2016 habt ihr mit einer umgebauten Ural an der Bonneville-Speedweek in den USA teilgenommen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein russisches Team mit einem russischen Motorrad auf den legen-dären Salzseen angetreten ist. Wie kamt ihr auf die Idee, wie hat alles angefangen?
Die Idee zur Teilnahme an der Speedweek kam quasi aus dem Nichts, sie war einfach da. Für uns war das am Anfang sehr weit weg, unerreichbar, unbekannt aber vor allem wahnsinnig interessant. Da wir nun mal das erste russische Team waren, das an den Start gehen würde, wollten wir auch mit einem russischen Motorrad antreten.
Also bauten wir auf Basis einer alten Ural M-72 von 1955 ein Rennmotorrad und nannten es Bonny. Im Jahr 2015 waren wir damit das erste Mal in Bonneville, doch aufgrund des schlechten Zustandes der Salzseen wurden alle Rennen abgesagt. Kurzerhand haben wir an ein paar nicht gewerteten Rennen auf einem Flugfeld in der Mojave-Wüste teilgenommen. Erst 2016 konnten wir dann zum ersten Mal in Bonneville starten und machten damit weltweit, aber vor allem in Russland Furore. Die Amerikaner waren etwas geschockt, als sie das erste Mal unsere Ural mit dem Titanrahmen auf einem amerikanischen Salzsee sahen.
Teurer Spaß
Ihr habt mit der »Bonny« jede Menge Aufmerksamkeit bekommen. Wie viel Zeit habt ihr in das Motorrad gesteckt und was habt ihr alles geändert, um die gewertete Durchschnittsgeschwindigkeit von 153,6 km/h in der Vintage-Klasse zu erreichen?
An dem Motorrad haben wir ein gutes Jahr gebaut. Wir haben an der alten Sowjetmaschine sehr viele Veränderungen vorgenommen, haben Methanol und Lachgas als Treibstoff verwendet und am Design gearbeitet. Den Kardanantrieb haben wir gegen einen Riemenantrieb getauscht sowie ein Harley-Gehäuse und das Reduzierstück einer BMW verbaut. Das gestiegene Interesse an dem Projekt hat außerdem dazu geführt, dass wir den Titanrahmen entwickelt haben, vor allem um das Gewicht zu senken. Die Bonny entstand mehr oder weniger komplett in unserer Werkstatt. Die meiste Zeit ging allerdings für die Motorrevision drauf, denn die Anforderungen des Speedweek-Regelwerks in der Vintage-Klasse sehen den Einsatz eines entsprechenden Motors bis Baujahr 1956 vor.
Um so ein Projekt überhaupt anfangen zu können, bedarf es großer finanzieller Mittel, aber vor allem auch Zeit. Hattet ihr Sponsoren, um eure Kosten zu decken?
Das Hauptproblem für die Teilnahme an solchen Rennveranstaltungen ist tatsächlich, das notwendige Geld aufzutreiben. Leider können nicht alle Kosten durch Sponsoren aufgefangen werden und die Reisen zu internationalen Veranstaltungen verschlingen Unsummen an Geld und vor allem Zeit. Ohne die Unterstützung durch Sponsoren ginge es überhaupt nicht. Glücklicherweise werden wir durch ECCO, MosElectro-Trade, Alliance Telecommunications und den Harley-Davidson-Club Russland unterstützt.
Customkultur in Russland
Das ist ein wirklich großer Beitrag zur Entwicklung der russischen Motorradindustrie und des Motorradrennsports. Wir hoffen, dass die Customkultur in Russland in naher Zukunft ein neues Niveau erreichen wird und werden im Gegenzug für diese großartige Unterstützung natürlich unsere wertvollen Erfahrungen an unsere Anhänger und Fans weitergeben.
Nachdem ihr endlich bei der Speedweek antreten konntet, fühlte sich das an wie ein Traum, der endlich in Erfüllung geht?
Als wir bei den Salzseen angekommen waren, fühlten wir uns wie Entdecker. Gleichzeitig wurde uns aber auch bewusst, welche Verantwortung wir trugen. Uns kam es vor, als würde ganz Russland auf uns schauen und uns unterstützen. Die Salzseen von Bonneville sind getränkt mit Renngeist, Enthusiasmus und Talent. Und wir mochten diese Atmosphäre auf Anhieb. Doch wie so oft im Rennsport ist es nicht einfach, die gewünschten Resultate einzufahren. Die Götter der Geschwindigkeit kämpfen mit den Fahrern und verlangen nach Opfern. Wir wissen jetzt, wie sich Burt Munro in seiner Haut gefühlt haben muss.
Bonneville – Problembike?
Hattet ihr technische Probleme mit der »Bonny 1« während der Speedweek und gab es Momente, an denen ihr enttäuscht wart, weil nicht alles so funktionierte wie geplant?
Unser Hauptproblem war der alte Sowjetmotor, der den auftretenden Kräften nicht standhalten konnte. Aber zum Glück haben wir in Amerika Freunde, die uns beistanden. »Grim Cycle Savage« stellten uns ihre Werkstatt für die Fehlersuche zur Verfügung. Außerdem half uns Cathy, die Frau unseres guten Freundes Sean Jordan mit einer Feinstrumpfhose aus, die wir über die Ansaugtrichter der Vergaser stülpten, damit kein Salz eindringen konnte.
Auch das Lachgas bereitete uns Probleme: Wir hatten kleine Zylinder konstruiert, von denen wir zu wenige für die Renndistanzen dabei hatten. So konnten wir 2016 keinen Rekord knacken, doch das war für uns keine Niederlage, denn gleichzeitig waren wir ja das erste russische Team überhaupt, das an der Bonneville-Speedweek teilgenommen hatte. Und wir hatten diese Dokumentation gedreht und dem russischen Publikum gezeigt, worum es in Bonneville geht. Letztlich war es für uns ein Anreiz, noch mehr zu entwickeln und an weiteren Rennprojekten teilzunehmen.
Die schnellste Ural
Mit der »Bonny 2« habt ihr 2017 einen neuen Geschwindigkeitsrekord in eurer Klasse aufgestellt. Doch wie wir wissen, müssen solche Rekorde in mehreren Läufen bestätigt werden. Du sprachst in einem anderen Interview von technischen Problemen. Was war passiert?
Nach der Bonneville-Speedweek 2016 ist das Interesse in der russischen Öffentlichkeit gewaltig angestiegen und in uns manifestierte sich die Idee, die schnellste Ural zu bauen, mit der wir einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen wollten. Also bauten wir »Bonny 2«. Wir haben den Motor überarbeitet und sehr viel Zeit in seine Konstruktion und das Testen gesteckt. Bonneville hat uns viel gelehrt und unseren Erfahrungsschatz vergrößert. Wir waren uns sicher, dass »Bonny 2« schneller und besser werden würde.
Als wir im August 2017 nach Bonneville zurückkehrten, kannten viele der Fahrer dort unser Projekt bereits und gaben uns alle Unterstützung, die wir benötigten. Wir haben den offiziellen Geschwindigkeitsrekord gleich drei Mal übertroffen, doch für einen offiziellen Eintrag muss er bestätigt werden. Das geschieht auf folgende Weise: Du stellst einen neuen Rekord auf, das Motorrad muss in eine Art »Parc Fermé«, wird quasi sichergestellt, um zu überprüfen, ob es den technischen Regularien deiner Klasse entspricht. Anschließend hast du vier Stunden Zeit für Diagnose, Fehlersuche und -behebung. Dann wird die Geschwindigkeitsaufzeichnung angezeigt.
Bonneville – Probleme sind hier normal
Sollte sich der Geschwindigkeitsrekord nicht bestätigen, wird das Ergebnis annulliert. So war es bei uns. Wir haben den Rekord zwar drei Mal geknackt, konnten ihn aber nicht bestätigen. Es waren einfach zu viele technische Probleme. Wir mussten einen Kippschalter ersetzen, zwei Zylinder, einen Kolben, zwei Ventile, eine Magnetspule für Lachgasinjektoren, zwei Düsennadeln, ein Schwimmerventil, vier Sicherungen und eine Zündkerze. Solche Probleme sind in Bonneville normal, wie wir jetzt wissen. Geschwindigkeitsrekorde werden nun mal nicht verschenkt. Dennoch sind wir überzeugt, dass die russischen Urals von 1955 die schnellsten klassischen Motorräder weltweit sein können.
Nach dem ihr so knapp am Geschwindigkeitsrekord vorbeigeschrammt seid, wollt ihr wieder in Bonneville antreten und einen neuen Versuch unternehmen?
Wir werden auf jeden Fall unsere Arbeit an den Urals fortsetzen und sie für ihren Einsatz bei Salzseerennen vorbereiten. Der Bonny-Motor wird weiterentwickelt und wir werden ein weiteres Motorrad für eine andere Klasse bauen. Wir sind inzwischen so von der Speedweek infiziert, dass wir einen Streamliner entwerfen, der auf einem Ural-M-72-Gespann von 1954 basiert und auf den Salzseen debütieren soll.
»Bonny 3W«
Das wird dann »Bonny 3W« sein. Außerdem haben wir uns mit einem der besten russischen Customizer zusammengetan, Fitil DMC, mit dem wir dieses Projekt angehen werden. Für die russische Customszene und Motorradkultur ist die Vereinigung der zwei führenden Customizer fast schon ein historisches Ereignis. Letztlich wünschen wir uns einfach mehr russische Teams, die weltweit an Rennveranstaltungen teilnehmen und damit auch den Rennsport in unserem Land populärer machen. Wir hoffen, dass das in Zukunft wieder möglich ist und ihr noch mehr von russischen Teams und ihren Rekorden hören werdet.
Letzte Frage: Kennt ihr unsere CUSTOMBIKE-SHOW und werden wir euch dort eines Tages mit euren Bikes sehen?
Wir wollten schon lange zur CUSTOMBIKE-SHOW, aber das ist ja derzeit etwas schwierig. Vielleicht ändern sich die Zeiten irgendwann, das wäre schon toll.
Info | Fine Custom Mechanics
Ein wirklich sehr interessantes Interview! Denke, dass zukünftig noch viel aus Russland kommen wird, wenn sich die Bedingungen wieder normalisieren.
Auch haben die ganzen russischen Modelle, insbesondere die Ural und Dnepr großes Potenzial für Umbauten, da sich noch nicht zu viel rangetraut haben.
Danke für das Interview und den Artikel. Sehr sympathische Customizer. Grüße Sebastian